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Sonntag, April 28, 2024

Vexierbild der Gewalt

Lesestoff

Jean Genets Tragödie „Die Zofen“ aktuell als Onlinestream am Landestheater Niederbayern

(von Tobias Schmidt)

Landshut/Passau. Drei Menschen in einem Abhängigkeitsverhältnis. Zwei Dienstmädchen, die nicht mit und nicht ohne einander können. Und die Hausherrin, in deren Dienst beide stehen – sie mögen die Herrin nicht, wollen aber doch ihrer gleich werden. Bewunderung, Scham, Schuld und Verachtung dominieren die Handlung von Jean Genets (1910-1986) erstem, und bis heute meistgespieltem tragischen Einakter. Genet, dieses unter anderem wegen Raub, Geldfälschung und Drogenhandel oft verurteilten und im Gefängnis einsitzenden „enfant terrible“ der französischen Literatur der 1940er und 1950er Jahre, legte „Die Zofen“ als „Stück im Stück“ an. Eines über „virtuelle Verbrechen und Gerichtsbarkeit“. Und als Vexierbild von Identitäten, die schließlich in einer Art sadomasochistischem Ritualmord münden.

Zur Handlung: Die Schwestern Claire und Solange sind Hausdienerinnen der „gnädigen Frau“. In deren Abwesenheit spielen die beiden die Ermordung ihrer Herrin. Als Zwei-Personenstück von Herrin und Zofe. Das Vorhaben scheitert zunächst, denn die „gnädige Frau“ kehrt nach Hause zurück. Als eine Intrige gegen den Herrn des Hauses aufzufliegen droht, beschließen die beiden Schwestern, ihr Spiel auch real und konsequent weiter zu treiben. Der Anschlag auf die Herrin mit vergiftetem Tee misslingt. Doch Claire und Solange spielen ihre Szene über Herrschaft und Unterdrückung bis zur letzten, tödlichen Konsequenz weiter. Gewalt, Unterdrückung, sexuelle Obsessionen und Tod thematisierte Jean Genet oft in seinen Stücken apotheotisch. Verbrecher waren für ihn so etwas wie Heilige, die durch eine Art gewalttätigen Befreiungsschlag eine moderne Gesellschaft der eigenen Selbstentfremdung gewahr zu werden.

‚Die Zofen‘ (Foto: Peter Litvai © Landestheater Niederbayern)

Jean Genets theaterästhetische Vorstellungen wirkten nachhaltig. So ist zum Beispiel das Filmschaffen Rainer Werner Fassbinders (dessen „In einem Jahr mit 13 Monden“ gerade ebenfalls in der Mediathek des Landestheaters Niederbayern zu sehen ist) stark von Genet beeinflusst.

Seit 23. April ist „Die Zofen“ über der Mediathek auf www.landestheater-niederbayern.de als Onlineproduktion zu sehen. Das packende Kammerspiel inszenierte Markus Bartl, Bühne und Kostüme entwarf Philipp Kiefer. Die Rollen der beiden Zofen spielen Friederike Baldin (Claire) und Ella Schulz (Solange), die gnädige Frau wird von Antonia Reidel dargestellt. Die Bildregie für den Stream übernahm Intendant Stefan Tilch.

Für die Wiedergabe des Videos auf der Internetplattform Vimeo wird lediglich ein Computer mit Internetanschluss benötigt. Bei Verwendung von mobilen Geräten wird die Installation der Vimeo-App empfohlen. Der Stream ist kostenlos und bleibt bis auf Weiteres online verfügbar. Außerdem stellt das Landestheater Niederbayern ergänzendes Material in der Mediathek zur Verfügung.

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