Die Stärkung der Rolle der Frau könnte ein entscheidender Faktor sein, um in den ärmsten Weltregionen gegen Mangelernährung vorzugehen. Diesen Zusammenhang erforscht ein Team der Universität Passau im Rahmen eines internationalen Projekts – unter anderem anhand von Feldstudien in Äthopien und Bangladesch
Passau (obx). Die Beendigung von Hunger gehört zu den 17 Nachhaltigkeitszielen, ebenso wie Geschlechtergleichheit und Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen. Zwischen den Zielen könnte ein Zusammenhang bestehen; bei der Verfolgung beider Ziele könnten unter Umständen wichtige Synergien generiert werden. „Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es immer mehr Belege, dass die Stärkung der Frauen ein entscheidender Faktor ist, um Mangelernährung auch in der nachfolgenden Generation entgegenzuwirken“, sagt Prof. Dr. Michael Grimm, Inhaber des Lehrstuhls für Development Economics an der Universität Passau.
Wie genau die beiden Ziele zusammenhängen und welche Maßnahmen beiden zuträglich sind, das untersucht Michael Grimm in den nächsten vier Jahren zusammen mit seiner Mitarbeiterin Afroza Shimu. Das Projekt „Verbesserung der Ernährungssicherheit durch die Stärkung von Frauen“ nimmt dabei traditionelle Gesellschaften in Bangladesch und Äthiopien in den Blick. Die Passauer Forschenden sind Teil eines größeren, internationalen Teams unter der Leitung der niederländischen Reichsuniversität Groningen. Förderung erhalten sie von der niederländischen Organisation für Forschung, dem niederländischen Äquivalent der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
„In traditionellen Gesellschaften gibt es häufig eine klare Rollenverteilung: Frauen sind für die Ernährung des Haushalts zuständig, während Männer Nahrungsmittel und andere Güter für den Markt produzieren und damit Einkommen erzielen“, sagt Michael Grimm. Um Frauen zu stärken, müsse diese Rollenverteilung aufgebrochen werden. Es gehe um Zugang zu Kenntnissen im Bereich der landwirtschaftlichen Produktion, zu finanziellen Ressourcen und zu Informationen.
„Wir stülpen hier aber nicht unser westliches Verständnis von Empowerment über, sondern bauen auf bereits vor Ort vorhandene Initiativen auf“, betont Michael Grimm. Dazu arbeiten die Forschenden in dem Projekt eng mit Partnern vor Ort in Bangladesch und Äthopien zusammen. Beteiligt sind neben der Haramaya University in Äthiopien und der BRAC University in Dhaka, Bangladesch auch lokale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen.
Um zielgerichtet Maßnahmen planen zu können, analysiert das Team zunächst mit Hilfe eines umfassenden Datensatzes, welche Zusammenhänge sich aus vorhandenen sozio-ökonomischen und demographischen Daten und Gesundheitsdaten aus Ländern des Globalen Südens ablesen lassen. Darauf aufbauend entwickeln die Forschenden ein theoretisches Rahmenmodell, wie sich die beiden Nachhaltigkeitsziele gegenseitig beeinflussen und wo es womöglich zu Zielkonflikten kommen kann.
Im nächsten Schritt konzipieren sie Maßnahmen, die nicht nur auf ökonomische Stärkung der Frauen abzielen, sondern psychologische und soziale Hindernisse in den Blick nehmen und dabei unter anderem auch Rollenmodelle nutzen. „Wer eine stärkere Position in der Gesellschaft hat, hat andere Ansprüche, setzt sich andere Ziele“, erklärt Michael Grimm.
Im dritten Schritt werden diese Projekte vor Ort in Bangladesch und Äthiopien umgesetzt und wissenschaftlich begleitet. Wichtig sei es, die Männer von Anfang an einzubeziehen, so Grimm. Ziel sei es, zu verdeutlichen, wie von Female Empowerment alle profitieren, inklusive der Kinder, und zu verhindern, dass eine Stärkung der Frauen in das Gegenteil umschlage – etwa in verstärkte häusliche Gewalt.
Das Passauer Forschungsteam beteiligt sich an allen Schritten mit seiner Expertise. Die Leitung übernimmt es bei der Konzeption der Interventionen sowie der wissenschaftlichen Begleitung der Vor-Ort-Initiativen. Michael Grimm und Doktorandin Afroza Shimu können hier auf Erkenntnisse aus laufender und vergangener Forschung am Lehrstuhl zurückgreifen. So hat der Passauer Entwicklungsökonom mit seinem Team ein Instrument entwickelt, um Empowerment von Frauen im arabischen Kontext zu messen. In anderen Projekten setzten er und sein Team Feldexperimente um. Diese untersuchten, unter welchen Bedingungen Bäuerinnen und Bauern in armen Gegenden langfristig auf nachhaltigen Anbau umstellen, um beispielsweise den Folgen des Klimawandels und zunehmender Boden- und Grundwasserverschmutzung entgegenzuwirken.