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Montag, Dezember 2, 2024

Auf und im Boden der Tatsachen

Lesestoff

Ausstellung der Bildhauerin Claudia Mann im MMK Passau befragt das Wesen von Skulptur

(von Tobias Schmidt)

Passau. Wann ist eine Skulptur eigentlich eine Skulptur? Und in welchem Verhältnis steht sie zum Raum, den sie einnimmt, und zu ihrem menschlichen Schöpfer und Betrachter? Klingt tiefschürfend, und deshalb schürft die in Düsseldorf arbeitende Bildhauerin Claudia Mann (Jg. 1982) für die Beantwortung dieser Fragen auch bisweilen im wahrsten Sinne des Wortes tief.

Für ihr Werk „Solid Aero“ grub sie etwa ein schmales, aber tiefes Loch ins Erdreich, entsprechend ihrer eigenen Körpergröße – also an menschlichen Raumproportionen orientiert – goss dieses Loch mit Wachs aus, um auf Basis dieser Form anschließend einen Abguss zu erstellen. Ausgehend von einem „Loch“ wurde hier doch „eigentlich“ der Aushub zur Skulptur. Oder doch nicht? Claudia Mann ging es bei „Solid Aero“ um Abformung eines Originals als bildhauerische Basis. Nur geraten einem im Nachdenken über dieser Gussplastik und ihrer Gussform plötzlich die Begriffe durcheinander. Was ist denn hier eigentlich das Original, von dem die Negativform (= Gussform) genommen wird? Was ist das korrespondierende Positiv? Wird hier nicht eigentlich die Wachsabformung im Erdreich zur Positivform (= hier die Gussform), also zum Original? Weil da jemand vorher „mit dem Spaten bildhauerisch tätig war“, also keine Skulptur auf den Boden stellt, sondern in den Boden hinein arbeitet? Welchen oben- und unterirdischen „Raum“ füllt dieses „doppelbödige Bodenkunstwerk“ eigentlich aus? Welche materiellen Spuren im Gras und Erdreich bleiben im Abguss sichtbar? Und ist das eigentlich „noch“ Skulptur oder Land Art? Und winkt dem Betrachter nicht von weitem auch die Archäologie entgegen?

Claudia Mann: ‚Solid Aero‘, Pigmentdruck auf Foto-Rag, 2018 (Foto: Claudia Mann, VG Bild-Kunst Bonn)

Graben und Grübeln bis zum Wesenskern

Spannende Positionsbestimmungen zur Skulptur an sich, stets nah an der Abformung als einer spezifischen Technik, und beim Sujet relativ frei, sieht man einmal vom Menschen und dem von ihm eigenommenen Raum ab. Auch mit anderen Werken „gräbt“ sich die ehemalige Mesterschülerin von Prof. Didier Vermeiren (Kunstakademie Düsseldorf) zum Wesenskern von Skulptur in der heutigen Zeit vor. „Don’t be afraid of me“ („Hab keine Angst vor mir“), eine in Acryl, Grafit und Gips gefertigte Bodenskulptur, enthält auch einen Spiegel, in den man beim Betrachten des Kunstwerks zwangsläufig hineinsieht. Ein wenig, wie der Liebe verschmähende Narziss aus der griechischen Mythologie, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte. Ein metaphorisches Spiegelkabinett, denn: Selbstreflexion ist für manche Zeitgenossen ein Angstthema, weil eigene Seinsgewissheiten ins Wanken geraten. Wenn man den sprichwörtlichen „Boden der Tatsachen“ erreicht. Selbstreflexion ist aber auch notwendig, um eine neue Entwicklungsrichtung zu gewinnen, spricht den „Boden, auf dem man steht“. Brechen wir hier ab, denn Fakt ist: mit „Böden“ kennt sich diese Künstlerin aus.

Claudia Mann: ‚Don’t be afraid of me‘, Acrystal Gips, Graphit-Spiegel, 2020 (Foto: Claudia Mann, VG Bild-Kunst Bonn)

„Don’t be afraid of me“ ist auch der Titel der ersten institutionellen Einzelausstellung Claudia Manns überhaupt. Sie startet am 16. Juli 2021 im Museum Moderner Kunst in Passau (www.mmk-passau.de). Dort wird sie bis einschließlich 3. Oktober, jeweils Dienstag bis Sonntag (10-18 Uhr), zu sehen sein. Zur Ausstellung erscheint im August 2021 ein Katalog mit Installationsfotos aus dem MMK Passau und mit Texten von MMK-Direktorin Dr. Marion Bornscheuer und Dr. Falk Wolf (Kurator für moderne und zeitgenössische Kunst der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen).

Claudia Mann: ‚Solid Aero‘, Bronze, 2017-2018 (Foto: Claudia Mann, VG Bild-Kunst Bonn)
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