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Montag, April 29, 2024

Handelsinteressen dürfen nicht über Menschenrechten stehen

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„Wir alle sind besorgt, wenn wir TTIP oder CETA hören“, sagte MdL Alexander Muthmann zu Beginn der „Fraktion vor Ort“-Infoveranstaltung der FREIEN WÄHLER im Restaurant am See in Erlauzwiesel bei Waldkirchen. „Welche Auswirkungen haben die Freihandelsabkommen auf Verbraucherschutz, Lebensmittelqualität, Daseinsvorsorge oder Landwirtschaft? Es gibt eine Vielzahl an Fragen und wir wissen nicht, worum es im Einzelnen geht.“ Um den Nebel etwas zu lichten, hat Muthmann zwei Experten eingeladen: Karl Bär, Referent für Agrar- und Handelspolitik vom Umweltinstitut München e.V., sowie Karl Ilgenfritz, Referent für Bundes- und Europaangelegenheiten der FREIE WÄHLER Landtagsfraktion.

Karl Bär vom Umweltinstitut München machte keinen Hehl daraus, dass er ein „Gegner dieser Abkommen“ ist und klärte zunächst die Frage, was Freihandel ist? „Handel wird in Staaten geregelt, zum Beispiel durch Vertragsrecht, Steuern oder Verbraucherschutz.“ Mit den Freihandelsabkommen TTIP (EU – USA, noch im Verhandlungsstadium)  und CETA (EU – Kanada, Verhandlungen abgeschlossen) sollen diese Handelshemmnisse abgebaut werden. „Das Ziel ist, dass sich diejenigen Länder, die etwas besser und billiger produzieren, durchsetzen sollen“, so Bär. Das nutze der Wirtschaft beider Vertragspartner und sorge für mehr Wohlstand. „Diese Theorie hat jedoch Mängel“, erklärte Bär. Die Abkommen werden manchen Ländern in der EU mehr nutzen als anderen. „Außerdem werden sich schwache Wirtschaftszweige nicht weiter entwickeln.“

Gegen die Freihandelsabkommen sprechen auch die Prognosen verschiedener Studien. „Die Effekte sind mäßig positiv“, so Bär. „Die  EU-Kommission hat beispielsweise errechnet, dass eine durchschnittliche vierköpfige Familie in der EU über zehn Jahre 545 Euro mehr hat.“ Eine andere Zahl liefert das ifo-Institut: Zehn Jahre nach dem Abkommen werde die Arbeitslosigkeit in Deutschland um 0,11 Prozent sinken. Diese geringfügigen Vorteile erkaufe man sich mit einer ganzen Reihe an Unsicherheiten und Risiken. Um zu sehen, welche Auswirkungen TTIP und CETA haben werden, könne man auch anhand bereits bestehender Freihandelsabkommen sehen, sagte Bär, und ging auf NAFTA ein, ein Abkommen zwischen Mexiko, den USA und Kanada. „Ziel war es, dass die industrielle Mittelschicht in Mexiko wächst – letztendlich sind nur mehr Arbeitsplätze in den USA entstanden.“

Karl Ilgenfritz ging schließlich auf konkrete Risiken ein, die durch CETA entstehen können. „Nur CETA liegt uns schon fertig als Text vor, aber wir gehen davon aus, dass TTIP ähnlich aussehen wird.“ Ilgenfritz zeigte am Beispiel der Wasserwirtschaft auf, wie unkonkrete Formulierungen zu Lücken im Freihandelsabkommen führen können. „Hier ist festgeschrieben, dass das Sammeln, Aufbereiten und Verteilen von Wasser weiterhin als öffentliches Monopol oder als Konzession für private Betreiber möglich sein soll“, so Ilgenfritz. Bei der Wasseraufbereitung kann aber auch Phosphat gewonnen werden. Nachdem dieser Bereich jedoch nicht unter Dienstleistungen falle, könne nun zum Beispiel ein kanadisches Unternehmen auf diesen Markt drängen. Ähnliche Beispiele lieferte Ilgenfritz noch in den Bereichen Abfallwirtschaft, Pflege, Bildung und Energieversorgung. „Wir FREIEN WÄHLER sehen die Freihandelsabkommen kritisch“, sagte Ilgenfritz und verwies darauf, dass derzeit Unterschriften für eine Volksbefragung gesammelt werden. Unterstützen werde man auch das Volksbegehren, das unter anderem vom Umweltinstitut München initiiert wurde. „Wir sammeln ab dem 16. Juli Unterschriften“, sagte Bär. „Wir wollen den Horst Seehofer dazu zwingen, im Bundesrat gegen die Abkommen zu stimmen – und ich glaub, dass wir gute Chancen haben.“

Abschließend gab Bär den Zuhörern noch einige Gedanken mit auf den Weg: In den einzelnen  Ländern gelten unterschiedliche Lohnniveaus oder Umweltrichtlinien. „Bei Importen besteht immer die Gefahr, dass Standards untergraben werden.“ Zum Beispiel wenn Lebensmittel in Verpackungen bestehend aus Bisphenol A – ein in Deutschland höchst umstrittener Stoff – importiert werden. Oder hormonbelastetes Fleisch aus den USA nach Europa kommt. Bär belegte auch anhand von Zahlen die Auswirkungen auf die Landwirtschaft: Die großen Farmen in den USA produzieren insgesamt viel günstiger als deutsche, insbesondere bayerische, Höfe und können ihre Produkte auch auf dem europäischen Markt günstiger anbieten. Eine katastrophale Entwicklung für die heimischen, ohnehin unter Druck stehenden Landwirte, so Bär. Handel dürfe nicht über dem Schutz der Umwelt, der Demokratie und der natürlichen Lebensgrundlagen stehen. „Wir brauchen Verträge zum Schutz der Menschenrechte, auf deren Basis Handel betrieben wird.“

Am Ende bedankte sich Alexander Muthmann für die aufschlussreichen zwei Stunden mit einer Flasche Landtagswein bei den Referenten und appellierte nochmal an die Zuhörer, für die Volksbefragung und das Volksbegehren zu unterschreiben. „Wir alle können mit unserer Unterschrift etwas bewirken.“

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