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Montag, April 29, 2024

Melancholie im Herzen. Und am Firmament

Lesestoff

Jiddische Chansons, düstere urbane Prophezeiungen. Ganz schön aufregend der Jazz Ende April

(von Tobias Schmidt)

Na so etwas? Gleich dreimal Gesang mit gitarristischer Begleitung beim Jazz Ende April. Das besehen wir uns einmal genauer: Wenn Sara Niemietz nicht gerade beim Musikprogramm Postmodern Jukebox aktuelle Pophits auf Swing dreht (allwöchentlich auf YouTube oder auch live zu erleben), steht sie als Schauspielerin vor der Kamera amerikanischer TV-Serien. Am Drehort, wo man viel Zeit verwartet und Musik zunächst sekundär ist, traf sie auf einen, dem das ebenso wenig gefiel wie ihr: den Filmkomponisten William Garrett „Snuffy“ Walden.

Fast dreimal so alt wie sie, aber eigentlich ein Bühnentier. Das Management der 1972 megaerfolgreichen Emerson, Lake & Palmer hatte ihn seinerzeit gleich mit seiner gesamten Band nach England gelockt. Vom Schulabbrecher zum Anheizer eines Stadienrockacts, beachtlich! Walden hat außerdem noch eine LP mit Free, über 30 Jahre Zusammenarbeit mit Eric Burdon oder Gitarrenjobs auf Stevie Wonders „Songs in the key of life“, einem der kanonischen Alben der Siebziger Jahre, im Lebenslauf stehen. Definitiv auch etwas für Popfans, sind Sara Niemietz und Snuffy Walden am 18.4. im Café Museum zu erleben. Wo am 22.4. gleich noch eine singende Schauspielerin zu Gast sein wird. Bei Noëmi Waysfeld und ihrem französischen Quartett Blik kommen neben Maccaferri-Gitarre noch der Oud und das Akkordeon ins Spiel. Diese chansontaugliche Besetzung klingt nach Musette und Jazz Manouche (wofür in Deutschland das unschöne „Gypsy Jazz“ gebräuchlicher ist), und – nimmt man Tempo raus und Melancholie hinein – auch etwas nach dem portugiesischen Fado. Alles durchaus „klanglich mediterran eingefärbt“, dennoch ist hier etwas anders: Aufgrund eigener jüdischer und russischer Wurzeln beschäftigt sich Waysfeld schon länger mit der jüdischen Musiktradition und ihren weniger bekannten Kontexten. Sie singt darum jiddisch, bleibt dabei aber dem Chanson näher, als etwa der sephardischen Liedtradition.

Verstörtsein nicht ausgeschlossen, Begeisterung wahrscheinlich. Zehneinhalb Jahre ist es schon wieder her, dass der New Yorker Multiinstrumentalist Elliott Sharp und der Sänger und Bassist Eric Mingus gemeinsam in Passau auftraten. „Terraplane“ hieß die Allstar-Band seinerzeit, und sie fusionierte urbanen Blues, und die späten unorthodoxen Jazzinterpretationen von Mingus Senior, dem Kontrabass-Titan Charles Mingus, und dessen Antipoden an Saxophon und Klarinette Eric Dolphy (übrigens Namensgeber von Sohnemann Mingus). Am 26.4. sind Sharp und Mingus erneut im Café Museum zu erleben. Mit „Fourth Blood Moon“, im Original ein beim Label enja in München verlegtes Duoprojekt, live umgesetzt als Trio mit Sharp an allerlei vielsaitigem Instrumentarium und Elektronik, John Edwards am Bass und Schlagzeuger Mark Sanders plus dem schamanenartigen Gesang von Mingus. Dronetones, urbane bisweilen düstere Ambientmusik, aus der sich die geballte Kraft eines frei improvisierenden Rocktrios Bahn brechen will, obgleich es gleich zwei Leader beständig in die Schranken weisen. Wenig rhythmischer Puls, und doch pulsiert dieses Ensemble in einem fort, dreht sich um die musikalischen Rollenwechsel, und – Gestirnen gleich – umeinander.

Apropos Himmelskörper, die im Album Titel anklingende und beim biblischen Propheten Joel sowie in der Apostelgeschichte nachlesbare „vierfache Blutmond-Prophezeiung“ wird ja gern von Endzeitpredigern vereinnahmt. Hier markiert sie jenen Punkt, wo der Jazz gerade noch existenzielle Fragen stellt, Antworten jedoch in der Dystopie sucht. Kennt man aus Jugendliteratur, Kino und Popmusik – der Jazz drückte sich lange drum herum, hielt Prophetie wohl nicht für clubtauglich. Nun, der Komponist, Experimentalmusiker und Morton Feldman-Schüler Elliott Sharp hat in seiner mittlerweile etwa vierzig Jahre währenden Karriere schon ganz andere Gegenbeweise angetreten…

Alle Konzerte beginnen um 20.30 Uhr. Kartenreservierung ist unter Tel. 0851 21246410 oder music@cafe-museum.de möglich. Nähere Informationen auch online unter: www.cafe-museum.de

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