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Montag, April 29, 2024

Psychologe: Nach Corona jetzt wieder „geistig vor die Tür treten“

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Gut aus der Pandemie kommen: Der Chefarzt von Bayerns führender Suchtklinik im ostbayerischen Furth im Wald rät, sich „Zeit nehmen, um die eigenen durch Corona veränderten persönlichen Stärken und Schwächen zu analysieren“

Furth im Wald (obx). Die Corona-Infektionszahlen gehen zurück. Sinkende Inzidenzen bedeuten jedoch noch lange kein Verschwinden von Corona und den Folgen, die diese Pandemie in den Köpfen vieler Menschen verursachte. Studien aus den USA und Großbritannien zeigen: Jeder dritte Corona-Patient leidet in Folge an neurologischen oder psychiatrischen Erkrankungen. Aber auch bei Menschen ohne Corona-Infektion verursachen mangelnde soziale Kontakte während der Lockdowns im Fühlen, Empfinden und Denken oft gravierende Spätfolgen, sagt Professor Dr. Reinhart Schüppel. Der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie ist Chefarzt der Johannesbad Fachklinik in Furth im Wald, der größten stationären Einrichtung für Suchterkrankungen in Bayern.

„Wir werden in Folge von Corona sicher noch lange mit massiven psychischen Schäden konfrontiert. Für die meisten Menschen gilt trotz Abklingen der Infektionszahlen: In ihrer Gefühlswelt ist längst noch nicht alles wieder gut“, sagt Professor Schüppel.

Studien aus den USA und Großbritannien zeigen als gravierende Nebenwirkung der Pandemie eine starke Zunahme von Depressionen und Angststörungen. „Bei den meisten Menschen haben die drei Wellen der Pandemie sowie Ungewissheit über Ansteckungsrisiko und Verlauf vor allem eines erzeugt: viel Stress, erst mit voller Wucht akut, dann chronisch, sehr intensiv und sehr hartnäckig“, so Prof. Schüppel. Er weiß: „Bei einem solchen chronischen Stress schaltet der Organismus auf ‚Lebenserhaltung‘ um, zu Lasten von ‚Wartung und Instandhaltung‘.“ Der bisherige Verlauf der Pandemie habe zu einem dramatischen Eingriff in das persönliche Leben der meisten Menschen geführt, wie es ihn seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat.

Vor allem viele psychisch Vorerkrankte seien in den letzten Monaten in eine Art wache Dauermüdigkeit verfallen, in dem sich das Leben wie hinter einer Milchglasscheibe abspielte. Sie litten besonders an der lange fehlenden Zukunftsperspektive und erlebten die sich wiederholenden Ankündigungen von nochmals und nochmals kurzem Durchhalten bis zum erhofften großen Durchbruch nicht als Hilfe, sondern eher als Zynismus, so der Chefarzt der Johannesbad Fachklinik. Die seit mehr als vier Jahrzehnten auf psychosomatische Erkrankungen spezialisierte Klinik ist Teil der Johannesbad Gruppe, einem der zehn größten Reha- und Gesundheitsdienstleister in Deutschland.

„Auch nach Abebben der Ansteckungsquote verbleiben viele der durch den Dauerstress überforderten Menschen trotz der berühmten ‚Lockerungen‘ auch weiterhin in diesem ‚Gefühlskäfig‘, obwohl die Türe offensteht“, ist Professor Schüppel überzeugt.

Aus Psychologen-Sicht gab es in Zeit der Lockdowns und Ausgangssperren aber auch eine kleine Gruppe von „Pandemie-Gewinnern“: Menschen, die in einem sozialen Kontext eher zurückhaltend bis ängstlich agieren, wurden durch das für Monate erzwungene Abstandhalten deutlich entlastet. Für diese Menschen bedeutete der „Lockdown“ nicht das Gefühl „nichts mehr dürfen“, sondern positiv im Gegenteil ein „nicht mehr verpflichtet sein“.

Der Ratschlag des Further Klinikchefs an die Bürger in Zeiten der abklingenden Pandemie: „Zeit nehmen, um die eigenen durch Corona veränderten persönlichen Stärken und Schwächen zu analysieren.“ Eine kritische Betrachtung eigener, eingefahrener Lebensgewohnheiten bis hin zum bewussteren Essen und Trinken, die Pflege der körperlichen Fitness und vor allem auch Stärkung der sozialen Kontakte seien der Schlüssel zur schnellen Regeneration von Geist und Körper nach den Belastungen durch Corona. Die aktuelle Phase des Neuaufbruchs sei eine gute Chance für jeden, „aus der inneren und äußeren Isolierung heraus auch geistig wieder vor die Tür zu treten“, sagt Professor Schüppel.

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