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Donnerstag, Mai 2, 2024

Wie viel „Seele“ steckt in einem verschmähten Instrument?

Lesestoff

Europäische Wochen: russischer Musikabend mit dem sonic.art Saxophonquartett

(von Tobias Schmidt)

Röhrnbach. Die weltweit verbreitete Vorstellung von der „Atem-“ oder „Hauchseele“ besagt, dass der Atem der Sitz der Lebenskraft sei und das seelische Befinden eines Lebewesens anzeige. Auch die Musiker Adrian Tully (Sopransaxophon), Alexander Doroshkevich (Altsaxophon), Claudia Meures (Tenorsaxophon) und Annegret Tully (Baritonsaxophon) alias sonic.art Saxophonquartett haben jede Menge solcher „Puste“.

Die vier Berliner werden sie am Sonntag, 7. Juli bei den 67. Festspielen Europäische Wochen Passau in die Darbietung ihres Musikprogramms „Russian Soul“ legen, womit wir auch wieder bei der „Seele“, genauer, der „russischen“, wären. In der Röhrnbacher Pfarrkirche St. Michael werden dann Werke russischer Komponisten für Saxophonquartett oder Adaptionen für diese Besetzung erklingen. Modest Mussorgskis 1874 entstandener Klavierzyklus „Bilder einer Ausstellung“ ist darunter. Ein Klassikhit, bekannt vor allem in Maurice Ravels Orchesterfassung, aber auch schon für Orgel, Glasharfe, Synthesizer oder Rockbands eingerichtet. Die keine zehn Jahre alte Fassung von Johan van der Linden für vier Saxophone ist indes (von einer auszugsweisen CD-Einspielung des niederländischen Berlage Saxophone Quartetts einmal abgesehen) selten zu erleben. Die an russischer Folklore orientierte naturalistische Formensprache Mussorgskis und dessen Mitstreitern überwinden, wollte Alexander Glasunow, blieb aber zeitlebens einem romantischen, von russischem Nationalismus durchzogenen Formenverständnis verbunden.

Seit 1905 Direktor des Sankt Petersburger Konservatoriums, behielt er diesen Posten auch in der kommunistischen Zeit und sogar über seine Emigration nach Paris 1928/29 hinaus. Krankheitsbedingte Reiseunfähigkeit habe ihn von der Rückkehr in die Sowjetunion abgehalten, lautet die offizielle Begründung, eine späte Liebe mag aber ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Und kulturpolitische Gründe: denn just im Jahr 1929 verbot die sowjetische Kulturpolitik weitestgehend Aufführungen von Musik mit dem Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich patentierten Saxophon wegen dessen Rolle im „volksverderbenden“ Jazz (Anlass war Ernst Kreneks Jazzoper „Jonny spielt auf“ gewesen). Und –welch ein Zufall – Glasunow, noch immer berühmt, aber aller Ämter verlustig, schrieb in dieser Zeit im Exil ein Konzert für Saxophon und Streichorchester und das Quartett B-Dur op. 109 für vier Saxophone.

Letztgenantes Werk wird auch in Röhrnbach auf dem Programm stehen. Mitte der 1930er Jahre war übrigens schon wieder Schluss mit dem Anti-Jazzverdikt der kommunistischen Partei gewesen. Eine Musikerkommission sollte eine systemkonforme Richtung für derartige Unterhaltungsmusik entwickeln. Ein Kommissionsmitglied hatte Alexander Glasunow noch selbst als talentierten 13-jährigen schmächtigen Klavierschüler aus wenig betuchter, einst vom Zar in die Verbannung geschickter Familie, an das Konservatorium geholt: Dmitri Schostakowitsch. Von ihm wird zum Beispiel die Jazz-Suite No.1 in einer Bearbeitung für Saxophonquartett erklingen.

Bis heute gern gehört, Tanzmusik, im Original mit Banjo und Hawaiigitarre charmant instrumentiert, aber eben auch ein Kommissionsbeitrag. Wie viel formalästhetisch dran ist, vielleicht verrät es ja diese Bearbeitung? Das 2005 gegründete und unter anderem mit dem 1. Preis und dem Grand Prix des Internationalen Kammermusikwettbewerbs für Zeitgenössische Musik in Krakau, dem Preis des Deutschen Musikwettbewerbs und dem Bergamo Classical Music Award ausgezeichnete sonic.art Saxophonquartett konzertiert heute weltweit. 2019 sind die Musiker als „artist in residence“ beim Canberra International Music Festival in Australien, beim Grafenberg Festival in Österreich und beim MDR Musiksommer zu Gast.

Das Konzert „Russian Soul“ beginnt um 19 Uhr in der Pfarrkirche St. Michael, Marktplatz 12, 94133 Röhrnbach. Tickets sind in der Kartenzentrale des Festspielbüros, Bahnhofstraße 32, 94032 Passau, Tel. 0851 56096-26, per E-Mail an kartenzentrale@ew-passau.de oder direkt online unter www.ew-passau.de reservierbar.   

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