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Freitag, Mai 3, 2024

Wie ist das nun mit der Digitalisierung an Schulen?

Lesestoff

Ein Gespräch mit Schulamtsdirektor Werner Grabl, fachl. Leiter der Staatlichen Schulämter in der Stadt und im Landkreis Passau

ln den letzten Wochen und Monaten hatten Schüler, Lehrer und Eltern mit zahlreichen Herausforderungen zu kämpfen. Inzwischen ist mit dem Präsenzunterricht wieder ein Stück Normalität zurückgekehrt, aber wie genau sieht der weitere Weg des Unterrichts in der näheren Zukunft aus? Ist ein vehementes Vorantreiben der Digitalisierung an Schulen wirklich die Lösung aller Probleme? MuW Medienhaus hat mit Schulamtsdirektor Werner Grabl gesprochen.

MuW Medienhaus: Herr Grabl, ist die Digitalisierung an Schulen wirklich der einzig wahre Weg in die Zukunft? Hätte man da schon früher aufmerksam werden müssen, lange bevor man durch Corona dazu gezwungen war?

Grabl: „Die Corona-Pandemie und ihre Folgen haben den Einsatz von Online-Unterricht und digitalen Lehrmethoden enorm beschleunigt Um Schulen und Lehrkräfte bei der Digitalisierung zu unterstützen, ist seit gut einem Jahr ein in Modulen aufgebautes Fortbildungskonzept für alle Lehrkräfte verpflichtend eingerichtet worden, dass die Lehrkräfte in bestimmten Zeitabständen durcharbeiten konnten.

Nun kam natürlich der Tag der Schulschließungen ohne große Vorankündigung und Vorbereitungszeit. Urplötzlich hatte das Corona-Virus die Schulgemeinschaft vor beispiellose Aufgaben und Herausforderungen gestellt. Die Schulen wurden von einem Tag auf den anderen geschlossen und mussten den gesamten Betrieb auf „Fernunterricht“ umstellen – eine urplötzlich neue Situation.

Aus der Not heraus sind viele gute Initiativen geschaffen worden, die es sonst nie gegeben hätte: Video Tutorials für Lehrer oder auch digitale Schulleiterkonferenzen sind Bausteine, von denen wir selbst aktuell profitieren und auch in Zukunft erheblichen Nutzen haben können. Lehrkräfte, die bisher in ihrem Unterricht noch nicht so sehr auf neue, aktuelle digitale Medien zurückgegriffen haben, arbeiten sich neu ein.

Das weitaus größere Problem war und ist es teilweise immer noch, dass manche Schülerinnen und Schüler daheim keine Endgeräte zur Verfügung haben, wie etwa Drucker oder einen Laptop. Arbeitsblätter nur über das Smartphone abzuarbeiten, geht eben nicht. Da werden Kinder aus sozial schwächeren Familien wirklich abgehängt. Deshalb ist es sehr erfreulich, dass hier mit dem neuen Förderprogramm „Sonderbudget Leihgeräte“ unter dem Dach des Digitalpakts Schule zusätzlich 500 Millionen Euro bereitgestellt werden.

Im Übrigen muss ich deutlich anmerken, dass wir jetzt nicht der Gefahr unterliegen dürfen, dass die Anstrengungen um eine Intensivierung der Digitalisierung in der Schule zu einer „Digitalen Schule“ führen. Das wäre für mich der falsche Weg. Es gilt immer noch: Pädagogik vor Technik. Digitalisierung darf nicht zum Selbstzweck werden. Sie muss als Mittel zur Zielerreichung gesehen werden. Auf den Unterricht bezogen heißt das: Wo wird mein Unterricht mit dem Einsatz neuer digitaler Medien besser?

Gleichzeitig ist es doch so, dass wir gerade jetzt die menschliche Situation, in der sich Kinder und Jugendliche nun seit Wochen befinden, in den Mittelpunkt stellen müssen, und da geht es um menschliche Zuwendung, um eine reale Begegnung und Nähe, um die Interaktion zwischen den Schülern untereinander sowie mit der Lehrkraft, die weder ein Tablet oder Whiteboard noch eine Videokonferenz ersetzen kann.“

MuW: Die derzeitige Mischform von Präsenzunterricht und Homeschooling scheint ein erster Schritt in Richtung eines normalen Schulalltags zu sein. Dennoch hoffen Eltern zumindest ab September auf den täglichen Präsenzunterricht. Wie sieht Ihre Prognose aus?

Grabl: „Das hängt einzig und allein von der weiteren Entwicklung der Anzahl der Corona-Infektionen ab. Dies gilt es weiterhin genau zu beobachten und zu analysieren. Dann werden die verantwortlichen Ministerien die entsprechenden Folgerungen daraus ziehen.

Mitentscheidend wird sicher der wissenschaftliche Befund und die datenbasierte Forschung der Virologen und Kinderärzte sein, welche Rolle die Kinder bei der Ausbreitung des Virus spielen.

Wünschenswert wäre natürlich die Rückkehr zum Regelunterricht.“

MuW: Wie würden Sie persönlich eine Maskenpflicht auch während des Unterrichts für Schülerinnen und Schüler einstufen?

Grabl: „Nun, aktuell ist das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im Unterricht grundsätzlich nicht erforderlich. Nach wie vor gilt: die wichtigste und effektivste Maßnahme ist –neben der Händehygiene und dem Einhalten der Husten- und Niesregeln das Abstandhalten von mindestens 1,5 m. Ein Tragen der Masken während des gesamten Unterrichts kann ich mir insbesondere in der Grundschule nur schwerlich vorstellen.“

MuW: Was ist Ihrer Einschätzung nach neben der Digitalisierung der wichtigste Punkt, um die Schule und damit die Kinder fit für die Zukunft zu machen, wenn wir Corona einmal außen vor lassen?

Grabl: „Digitalisierung hat zwar während der Krise an Bedeutung gewonnen, sie macht aber den Unterricht nicht aus. Es gilt – wie bereits gesagt  – „Pädagogik vor Technik“! Ein guter Lehrer verfügt über Fachkompetenz, pädagogische Kompetenz und didaktische Kompetenz. Da können digitale Geräte höchstens unterstützen, aber niemals den Lehrer ersetzen. Für pädagogische Erfolge sind zwingend die Begeisterung durch die reale Fachkompetenz des Lehrers, die Erfahrung von Gemeinschaft einer Lerngruppe und lebendige Gespräche mit allen Facetten vorausgesetzt.

Vielleicht bietet die Corona-Krise die Chance, sich wieder auf Werte und auf den Kern der Schule zurückzubesinnen. „Immer mehr, immer schneller, immer weiter, höher … ist das der richtige Weg?“, das habe schon Bundespräsident Frank Walter Steinmeier vor kurzem in einer Rede in Frage gestellt. Ist schnelleres Lernen, mehr Wettbewerb, mehr Leistungsdruck wirklich das Ziel?

Wir sollten, glaube ich, den ganzen Menschen in den Blick nehmen:

Sein emotionales, sein kognitives, sein praktischer Lernen ebenso wie eine klare Werteorientierung.  Neben einem Digitalpakt sollte es einen Wertepakt, einen Pakt für nachhaltige Bildung (BNE) geben. Dabei geht es inhaltlich um die Vermittlung von Umweltwissen, einer globalen Denk- und Sichtweise (Globales Lernen) sowie demokratischer Aspekte („Betroffene zu Beteiligten zu machen).“

MuW: Wie sieht es mit praktischen Fähigkeiten aus?

Grabl: „Selbstverständlich geht es auch um Alltagskompetenzen, die gefördert werden müssen. Mit dem Projekt „Werkstatt Grundschule“ laden wir aktuell an fünf Projektschulen heimische Betriebe in die Schulen ein, um einen ersten Kontakt herzustellen – und das möglichst früh. Es geht hier darum, den Kindern ganz praktische Erfahrungen machen zu lassen. „Sägen, bohren, feilen, löten, hämmern, …“ heißt das Motto. Sozusagen „Handwerk  zum Anfassen.“ Im Gegenzug werden auch die Firmen besucht und die Eltern mit eingebunden. Da kann schon so mancher Grundstein für den späteren Berufsweg gelegt werden bzw. Interessen geweckt werden.“

MuW: Für die inhaltliche und konkrete Umsetzung der Thematik „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ haben Sie am Schulamt eine eigene Arbeitsgemeinschaft eingerichtet, zu der auch drei Vertreter von ‚Fridays for Future‘ gehören. Da gibt es bestimmt Diskussionen.

Grabl: „Es ist uns wichtig, diese ganz aktuellen Zukunftsfragen und Anliegen der jungen Menschen, die sich für die Natur und den Umweltschutz einsetzen, zu hören. Ja, eben „Betroffene zu Beteiligten“ zu machen. Damit will ich aber nicht den „zivilen Ungehorsam“ legitimieren, wenn etwa die Schülerdemonstrationen während der Schulzeit stattfinden. Uns Erwachsenen muss doch klar sein, da gehen die auf die Straße, die massiv vom Klimawandel und den damit verbundenen Folgen wie Hitzewellen, extremen Unwettern oder klimabedingten Flüchtlingswellen betroffenen sein werden.

Im übrigen lohnt es sich hier einen Blick in die Richtlinien zur Umweltbildung an Bayerischen Schulen zu werfen oder in die Bayer. Verfassung: Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt gehört zu den obersten Bildungszielen (Art. 131Abs.2).

Jeder von uns sollte durch BNE erkennen: Mein Handeln hat Konsequenzen – nicht nur für mich, sondern auch für andere. Ich kann dazu beitragen, die Welt ein Stück weit zu verbessern und drängende globale Probleme anzugehen nach dem Motto:  Global denken – lokal handeln.“

MuW: Wenn das so ist, hat dann die These, dass die Menschen immer egoistischer werden, noch ihre Berechtigung?

Grabl: „Wenn wir Menschen uns als unersättliche Konsumverbraucher erweisen, dann wird dieser Egotrip anhalten. Ich stimme dem Astrophysiker Harald Lesch zu, wenn er sagt, dass jetzt viele dank der Coronakrise verstanden haben, dass die durchgängige Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche für eine Gesellschaft kein tragfähiges Gerechtigkeitsprinzip darstellt.

Die Corona-Krise hat gezeigt, wie schnell sich alles ändern kann. Umso wichtiger ist es, dass wir wieder umsichtiger miteinander umgehen und auch mit den Ressourcen dieser Erde. In den Schulen wird ja nicht nur gelehrt, Wissen und Können vermittelt, sondern auch ‚erzogen‘, Herz und Charakter gebildet. Darum müssen wir die wichtigen Themen unserer Zeit – wie etwa die Bildung für nachhaltige Entwicklung, den Klimaschutz  und den achtsamen Umgang mit unseren Mitmenschen –  ebenso auf den Stundenplan bringen wie Mathematik und Deutsch.“

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