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Freitag, Mai 3, 2024

„Dieses Baby ist mein Leben“

Lesestoff

Eine der größten Katastrophen: Wenn eine Mutter bei der Geburt ihres Kindes stirbt. Dann ist die Familie herausgefordert, dem Neugeborenen die verlorene Liebe zu schenken

Eine Reportage aus Bethlehem von Andrea Krogmann

Zeina liegt in der Mitte des großen Ehebetts, den kleinen Körper sorgsam in eine rosafarbene Einhorndecke gewickelt. Roter Samt umspannt das geschwungene Kopfteil des Bettes, Decken und Kissen in allmöglichen Rottönen tauchen den Raum in ein sanftes Licht. Auf Rosen betten wollten Sanad und Mariam aus dem Dorf wenige Kilometer östlich von Bethlehem am Rande der judäischen Wüste ihre erste Tochter. Erst im April 2020 hatten der 23-Jährige und die 24-Jährige aus Ubeidija geheiratet, freuten sich auf das Baby. Doch es kam anders.

Im sechsten Monat schwanger, wurde Mariam krank, Grippe, dachten sie zuerst, aber als die Atemprobleme einsetzten, fuhren sie ins Krankenhaus. Mariam bekam Sauerstoff, Diagnose: Corona-Infektion. Ein Kaiserschnitt sollte das kleine Mädchen retten und der Mutter die Gesundung erleichtern. „Mariam lächelte, als man ihr sagte, Zeina sei im Caritas Baby Hospital und es gehe ihr gut“, erinnert sich Sanad. Die Angst, dass auch die Kleine Corona haben könnte, bestätigte sich zum Glück nicht. Doch Mariams Zustand verschlechterte sich schnell. Mariam starb am Tag nach der Geburt.

Wochenlang wurde das Mädchen im Caritas Baby Hospital behandelt. © Archiv KHB

Zeina, die Schöne

Das war Anfang November. Zu der Trauer kam die Sorge um die Tochter Zeina, was „die Schöne“ bedeutet. Den Namen hatte Mariam ausgesucht, als sie wussten, dass das erste Kind ein Mädchen würde. In den nächsten Wochen sollte das Caritas Baby Hospital zu einem zweiten Zuhause für die Familie werden. „Einen sichereren Ort als das Kinderkrankenhaus in Bethlehem hätte es für Zeina nicht geben können“, sagt der junge Vater. Ende Januar 2021 hatte sich der Zustand der Kleinen stabilisiert. Sie durfte in das samtene Bett am Rande der Wüste umziehen.

Die kleine Zeina verlor ihre Mutter durch eine Corona-Infektion. © Andrea Krogmann

Der Anfang war nicht einfach, sagt Sanads Mutter Fatima Daoud. Die 58-Jährige hat selbst drei Söhne und fünf Töchter großgezogen und ist mit Enkeln reich beschenkt. „Zeina ist mein 18. Enkelkind“, sagt sie stolz, „und jetzt ist sie meine ganze Aufgabe, ich kann sie keinen Moment allein lassen.“

Professionelle Hilfestellung für den Anfang

Fatima nimmt ihre neue Aufgabe ernst. Im Caritas Baby Hospital hat sie gelernt, mit den besonderen Bedürfnissen der Frühgeborenen umzugehen. Vitaminzusätze in der Milch gehören genauso dazu wie physiotherapeutische Übungen oder die besondere Wickeltechnik: die Arme der Kleinen dicht am Körper, die Decke fest um das Kind.

„Meine Mutter ist wie eine zweite Mutter für Zeina“, sagt Sanad. „Ich habe mehr Angst um sie als um meine eigenen Kinder“, erwiedert Fatima. Nachts schläft die Großmutter neben dem Baby, und wenn Zeina nicht schläft, schläft auch Fatima nicht. Wenn nötig, hält sie das zierliche Mädchen die ganze Nacht. „Und wenn sie aufwacht, dann rede ich mit ihr.“

Zeina ist das 18. Enkelkind von Fatima. © Andrea Krogmann

„Ich zeige Sanad, wie er mit dem Baby umgehen soll. Ich achte auf die Hygiene, darauf, dass seine Hände gewaschen sind und er eine Maske trägt, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt und zu seiner Tochter geht.“
Fatimas Stimme ist sanft und weich, an ihren Worten kommt kein Zweifel auf: An der Großmutter kommt keiner vorbei, der zu Zeina will.

Alles, was bleibt

Sanad ist dankbar für die starke Unterstützung. Tagsüber arbeitet er am Bau, muss die Schulden für die Hochzeit zurückzahlen. „Alles fühlt sich an wie eine Illusion“, sagt er, „innerhalb von sieben Monaten fing alles an und ging alles zu Ende.“ Dann nimmt er Zeina in seine Arme. „Sie ist alles, was mir von meiner Frau bleibt.“ Weiter kann Sanad noch nicht denken. „Dieses Baby ist mein Leben!“

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