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Freitag, April 26, 2024

Gesehenes, in dem noch das einstmals Geschehene liegt

Lesestoff

Künstlerische Positionen zu „Urban Exploration“. Aktuell beim Kunstverein Passau

(von Tobias Schmidt)

In SocialMedia findet man sie gelegentlich: Mitgliederanfragen zu von Menschen verlassenen Orten innerhalb einer Stadt, so genannten „lost places“. Meist geht es den Fragenden um in fotodokumentarischer Mission benötigte Zugangsinformationen zu aufgelassenen Häusern, Fabriken, Bunkern und ähnlichen Spielplätzen des echten Lebens, vor denen einen Eltern gern und meist vergeblich warnen. „Urban Exploration“, kurz „Urbex“ heißt dieser, von den einen in Weblogs im Internet gepflegte, von den anderen eher belächelte Trend. Der was über unsere Zeit sagt? Dass mancher Zeitgenosse die Erinnerung an Kindheitsabenteuer in einer weniger zweckrational verbauten (oder wenigstens so erinnerten) Umwelt pflegen will, die Rückkehr zu echter anstatt virtueller Erfahrung mindestens en vogue (eigentlich aber doch bitter notwendig) ist, dass „Herumstrolchen“ unter Umständen in einer Bürgerreportage über zivilisatorische Endpunkte „vor der Haustür“ endet, oder dass auch der Mensch des 21. Jahrhunderts nicht vor Zeitkapsel-Nostalgie gepaart mit ein wenig Grusel gefeit ist. Und ja, Kunst ist bei diesem dem Dokumentarischen zweifelsohne stark verpflichteten Trend ebenfalls mit von der Partie. Unter dem Titel „URBEX“ zeigt der Kunstverein Passau derzeit fünf künstlerische Positionen aus Fotografie, Grafik und Malerei zum Thema Urban Exploration in der St.-Anna-Kapelle. Zu erleben sind fünf Blicke auf die menschenleere Stadt und ihre zivilisatorischen Spuren, fünf bildnerische Expeditionen an verlassen liegende Orte, die nun bar ihrer einstigen Nutzung eine Neubewertung ganz unter ästhetischen Gesichtspunkten erfahren. Wo die herkömmliche Urbex-Fotografie das stete Vexierspiel imaginierter Vergangenheit vom Gesehenen, in dem noch das einstmals Geschehene liegt, sucht, schlagen sich hier einige der Künstlerinnen und Künstler mit Verve ganz auf die Seite der Imagination.

Christian Kropfmüller, „ohne Titel“, 2016-17 (aus der Serie: Alltagsorte II, analoge Fotografie, Pigmentdruck auf Barytpapier; 30 x 45 cm)
Christina Kirchinger, „Aufbruch“, 2016 (Radierung und Aquatinta, 30 x 23 cm)

Christina Kirchinger etwa entwickelt in ihren mit der Aquatinta kombinierten Radierungen aus Flächen, Linien und Raumachsen neue Visionen einer unwirtlichen Unwirklichkeit, in denen Landschaften allenfalls schemenhaft zu erkennen sind. Christian Kropfmüller pflegt in seinen Fotoarbeiten eine Ästhetik des zweiten Blicks, indem er den Blick gezielt auf Banales in nüchternen Kompositionen richtet. Dem ursprünglichen Kontext entrissen, entwickeln diese Motive eine neue, eigenständige und humorvolle Realität. Nico Sawatzki kombiniert Malerei und Graffiti, also großformatige Sprühlackästhetik zur Umdeutung und subjektiven Aneignung urbanen Raums. Schicke „Tags“ mit Tiefenwirkung gibt es hier schon, doch das war’s dann in puncto Raum: die gewohnt-gewöhnliche Häuser-Landschaft zeigt Sawatzki zerberstend. Zwischen Illusionismus und Abstraktion schwingen die malerischen Arbeiten Melanie Siegels. Sie zeigt Orte, an denen Natur und Menschengemachtes aufeinandertreffen in einer bewusst Schärfe und Unschärfe, Licht und Schatten akzentuierenden Malweise. Ein mal friedvoll, mal dräuend-dunkles Geheimnis wohnt Siegels Bildern inne. Der klassischen fotografischen Aufnahme meist unzugängliche Orte und den darin sichtbaren Spuren menschlicher Zivilisation widmet sich Peter Untermaierhofer. Ein ästhetisches, aber auch konservatorisches Unterfangen: Der Fotograf möchte die besondere Atmosphäre in den verfallenden Ruinen (etwa alter Industriebauten) festhalten, bevor diese städtebaulich neubeplant werden. Etwas Spekulativ-Dystopisches, die Vision einer Post-Menschheits-Welt liegt ebenfalls in diesen Bildern. Doch, wenn wir schon gehen müssen, dann wenigstens mit Stil. Drum gibt‘s in Untermaierhofers Anthropozän-Finale abblätternde Farbe, Rost, Schutt, Staub oder Spinnweben wohl in schicker High Dynamic Range-Optik. Wieder also: Kein Staunen, ohne Lachen auch bei dieser, von Verena Schönhofer kuratierten Schau.

Melanie Siegel, „ohne Titel“, 2016 (Acryl und Öl auf Holz, 42 x 32 cm)

Die noch bis einschließlich 18. Februar jeweils Dienstag bis Sonntag, 13-18 Uhr in der St.-Anna-Kapelle, Heiliggeistgasse 4, besichtigt werden kann. Eintritt frei.

Nico Sawatzki, „Raum-Serie 2017 #30“ (Sprühlack, Acryl auf Leinwand, 95×120 cm)

(Titelbild: Peter Untermaierhofer, „secret society“, 2015 (Fotografie, 60 x 90 cm)

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