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Samstag, April 20, 2024

Virtuelle Zeitreise in die „Goldenen Zwanziger“

Lesestoff

Die 1920-er Jahre gelten als besonders bewegtes, rasantes Jahrzehnt. Das Regensburger Museum der Bayerischen Geschichte erzählt diese Zeit jetzt aus bayerischer Perspektive – und geht dabei neue Wege, um Besucher zu begeistern

Regensburg (obx) – „Tempo, Tempo“ heißt der Titel einer neuen Ausstellung, die bis Anfang Februar 2021 Besucher des Museums der Bayerischen Geschichte in Regensburg mit auf eine Zeitreise in die 1920-er Jahre nimmt. Mit der Schau geht das Haus neue Wege: In der einen Hälfte des Saals spielt die Bayernausstellung mit ihren Objekten und Inszenierungen, in der anderen Hälfte gibt es großes Kino. Im Film „Wartesaal. Das Schauspiel zur Ausstellung“ begegnen sich Schauspieler und Kabarettisten wie Christoph Süß, Max Uthoff, Luise Kinseher, Helmut Schleich und Christian Springer. Vom Beamten bis zum ärmlichen Soldaten, von der kränklichen jungen Frau bis zum feinen Herrn, vom polternden Bayern bis hin zur Fotografin schlüpfen sie in die unterschiedlichsten Rollen und sind der Gesellschaft jenes aufreibenden Jahrzehntes entsprungen. Mit dabei auch ein alter Bekannter: Karl Valentin gibt sich ebenfalls die Ehre. Sie alle stehen in Diskurs und Dialog rund um das aufreibende Jahrzehnt der 1920er-Jahre in Bayern.

Das Set zu dem 30-minütigen Film wurde im Juli in München unter Regie der Stuttgarter Produktionsfirma „jangled nerves“ aufgebaut und war eine der ersten Filmproduktionen in Bayern nach dem Corona-Lockdown. Das Drehbuch stammt von Moderator, Schauspieler und Kabarettist Christoph Süß. Mit von der Partie sind bayerische Kabarettgrößen wie Luise Kinseher für die Hitler-Gegnerin Ellen Ammann, Helmut Schleich als konservativer Beamter und Max Uthoff als Vertreter der feinen Gesellschaft. In weiteren Rollen: Carolin Hartman, Vincent Sauer und Pola Jane O´Mara aus dem Ensemble des Münchner Volkstheaters. Nach Weltkriegsende, Revolution und der Ermordung Kurt Eisners weiß um 1919 niemand in München so recht, wie es weitergehen soll. Alle warten – und keiner weiß worauf. Wobei natürlich so ein jeder seine eigenen Vorstellungen hat. Die Zeiten stehen auf Auf- und Umbruch. Die Demokratie steckt in den Kinderschuhen, politische Radikalisierung von linker und rechter Seite bringt große Unsicherheit. Wer ist Freund und wer ist Feind? Inflation, Armut und Krankheiten heizen die angespannte Stimmung noch mehr an.

Der Film „Wartesaal“ ist eine „Virtual Production“ und nach neuester Technik des Jahres 2020 produziert. Die Produktionsfirma „jangled nerves“ setzte zum ersten Mal eine große LED-Wand ein, vor der die Schauspieler agierten und in die Zeit eintauchten. Je nach Kamerastandort passen sich die wechselnden Hintergrundbilder der jeweiligen Szene perspektivisch perfekt an. Aufnahmen und Spezialeffekte sind somit bereits beim Dreh vollständig im Kasten – ein „virtueller Schaukasten in die Vergangenheit“ und bewusster Teil der Inszenierung. Der Film „Wartesaal“ führt in das Jahrzehnt der 1920er-Jahre in Bayern ein, in der Ausstellung geht es anschließend dann live und in Farbe mit vielen Originalexponaten, Filmen, Musikbeispielen und Hörstationen zur Sache, sie ermöglichen einen bunt gemischten Rundgang durch das Jahrzehnt.

Überall technische Neuerungen, Rekorde, Entdeckungen, das Lebensgefühl der wilden 1920-er mit neuer Musik und neuer Mode schimmert herein. Ausschweifend wird Charleston getanzt und gefeiert. Doch mit der Wirtschaftskrise 1929 kommt ein neuer Einbruch – und gute Zeiten für Agitatoren brechen an.

Das Plakat zur Ausstellung. Foto: obx-news/Haus der Bayerischen Geschichte

Wie heute verändern auch damals neue Medien den Alltag: Schreibmaschine und Telefon sorgen für neue Arbeitsplätze besonders für Frauen im Büro. Der Rundfunk informiert über die Ereignisse der Welt. Staubsauger und Föhn kommen in Gebrauch. Daher bestimmt die Elektrizität, wer sie nutzen kann oder nicht; das Land kann es oft nicht. Die Folgen des Ersten Weltkriegs, die Hyperinflation und die Extremisten von links und rechts belasten die junge Demokratie. Trotzdem: Wirtschaftlicher Aufschwung ermöglicht bescheidenen Wohlstand und zunehmende persönliche Mobilität.

Die Sehnsucht, auch der Motorradfahrer, richtet sich auf das Automobil, die Zulassungszahlen steigen rasant an, damit auch die Unfallzahlen. Plakate und drastische Verkehrsfilme mahnen zu mehr Vorsicht. Das Tempo der 1920-er Jahre wird zudem an den neuen Tanzstilen, neuen Musikinstrumenten und den bis heute populären Schlagern deutlich. Die rasante gesellschaftliche Entwicklung wird aber auch kritisch gesehen. Thomas Mann machte sich über den Einfluss der Nationalsozialisten berechtigte Sorgen. Der Ruf Münchens als Kulturstadt steht auf dem Spiel. Der Volkssänger Weiß Ferdl befürchtet hingegen: „Wir amerikanisieren uns“, wie er eines seiner Lieder überschreibt. Mehr Informationen: www.hdbg.de/museum

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