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Freitag, April 19, 2024

Temelín: Wenn der Super-GAU zur Realität wird!

Lesestoff

Irgendwo im Bayerischen Wald. 40 Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt. Ihre Familie befindet sich bereits im Land der Träume. Sie können nicht einschlafen und machen es sich im Garten auf dem Liegestuhl noch etwas gemütlich. Das Thermometer zeigt immer noch 26 Grad an. Eine kurze, aber kühle Briese umspielt Ihr Gesicht. Der Himmel ist wolkenlos – und war das da oben nicht eine Sternschnuppe? Plötzlich erstrahlt der ganze Himmel in hellem Licht. Die Nacht wird für wenige Sekunden zum Tag. Man könnte meinen, Gott habe aus Versehen den Lichtschalter erwischt. Dann wieder vollkommene Dunkelheit; das Sternenmeer ist wieder da.

Es ist 01.45 Uhr. Ein Blick auf Ihre Armbanduhr verrät es Ihnen. Was könnte das gewesen sein, fragen Sie sich. Friedlich lehnen Sie sich in den Liegestuhl zurück und schließen die Augen. Kurze Zeit später klingelt bei Ihnen das Telefon im Wohnzimmer. Um diese Uhrzeit? Das schrille Klingeln nimmt kein Ende. Ignorieren oder abnehmen? Sie entscheiden sich für das Zweite. Am anderen Ende meldet sich eine schrille Stimme. Sie erkennen sie. Es ist Ihre Schwester, die vor zehn Jahren ins benachbarte Österreich umgezogen ist. Sie verstehen sie kaum; sie redet ungewohnt schnell. Und auch die schlechte Verbindungsqualität tut ihren Beitrag. Ein paar Gesprächsfetzen verstehen sie dann doch noch, bevor die Verbindung abbricht: „Temelín“… „in die Luft gejagt“ … „Wahnsinn“ … „Wir müssen los!“ … „Passt auf euch auf!“ Den Hörer noch an die Ohrmuschel gepresst, stehen Sie da. Erstarrt und gelähmt. Sie wissen jetzt, was geschehen ist. Im Kernkraftwerk Temelín gab es einen Unfall. Mit dem kleinen und feinen Unterschied, dass es sich diesmal nicht um einen ‚kleinen Störfall’ – und laut Verantwortlichen eigentlich nicht erwähnenswertes Ereignis – handelt. Die Büchse der Pandorra hat sich geöffnet. Der Super-GAU ist Realität!

Was ist zu tun?

Nach der Fukushima-Katastrophe im März 2011 hat die Strahlenschutzkommission in Deutschland reagiert und weitere Empfehlungen abgegeben, wie ein zukünftiger und besserer Notfallschutz in der Umgebung von Kernkraftwerken aussehen sollte. Seit mehr als zwei Jahren versucht das Innenministerium nun, all diese Vorschläge auch für den Freistaat Bayern umzusetzen. Notfallpläne aus dem Jahr 2008 dienen als Grundlage. Die sogenannten Planungsrespektive Evakuierungsgebiete sind in Nah-, Mittel- und Fernzone eingeteilt. In der Nahzone, also unmittelbar um ein Kernkraftwerk, sieht man bei einem Ernstfall vor, innerhalb eines Radius von 2,5 Kilometer zu evakuieren – das Ziel: Menschen binnen 6 Stunden in Sicherheit zu bringen. Bei der Mittelzone ist ein Radius von 10 Kilometer vorgesehen. Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse von Fukushima will man nun den Radius (Evakuierungszonen) bei der Nahund Mittelzone verdoppeln. Würde es sich beim eingangs erwähnten Szenario – alles andere als Utopie – um ein Ereignis handeln, das auf der siebenstufigen ‚Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse’ als katastrophaler Unfall eingeordnet wird (also höchste und letzte Stufe), dann wären rechtzeitige (und in der Theorie geplanten) Evakuierungen gar nicht mehr möglich. Eine freigesetzte Radioaktivität wie bei Tschernobyl, noch zusätzlich gefördert durch entsprechende Windverhältnissen, breitet sich innerhalb von wenigen Stunden in einem Radius von mehreren hundert Kilometern aus. Auf immer wiederkehrende Fragen, wie denn so eine Evakuierung ablaufen würde, bekommt man vom Innenministerium und anderen Experten gleich lautende Antworten.

Hilfe?

Fehlanzeige. Man geht tatsächlich davon aus, dass sich etwa drei Viertel der Betroffenen selbst helfen würden und beispielsweise mit dem Auto ihren Heimatort verlassen. Die einzelnen Katastrophenschutz Organisationen koordinieren dann die Hilfe für die übrig gebliebenen Menschen. Als Anlaufstellen dienen sogenannte Sammelpunkte (aber welche?). Bahnen und Busse werden dann als zusätzliche Transportmittel eingesetzt. Über den Rundfunk werden regelmäßig weitere Informationen für die Betro enen verbreitet. Und auch Jodtabletten sollen an die Bevölkerung verteilt werden. Bayernweit spä- testens nach zwölf Stunden. Wohl gemerkt, das alles in der Theorie und unter dem Aspekt, dass sich alle Bürgerinnen und Bürger in einer solchen Situation „vernünftig“ verhalten. Erst vor ein paar Tagen musste im Kernkraftwerk Temelín erneut der zweite Reaktorblock heruntergefahren werden – außer Plan versteht sich.

Bis zum bitteren Ende?

Wie der teilstaatliche Betreiber CEZ mitteilte, habe man ein Defekt an der Kühlung festgestellt. Davor gab es bereits im Juli dieses Jahres mit demselben Reaktorblock ein Problem. Dieses Ereignis stuften die Behörden auf der Ines-Skala als ‚Störung’ ein – auf dem Dach und in unmittelbarer Nähe wurden erhöhte Strahlenwerte gemessen. Temelín ist rund 60 Kilometer von der bayerischen und österreichischen Grenze entfernt. Wann haben Sie sich letztmals bei den zuständigen Behörden in ihrer Region und Gemeinde danach erkundigt, was zu tun wäre, wenn…? Oder wann wurden Sie letztmals durch die Behörden mit aktuellem Informationsmaterial versorgt? Ihr Wecker macht sich bemerkbar. Es ist 06:45 Uhr. Alles nur ein Traum! Schweißgebadet richten Sie sich im Bett auf. Gott sei Dank, alles nur ein schlechter Traum! Aber für wie lange noch?

Good Night, and Good Luck!

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