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Freitag, April 19, 2024

Ich wollte doch noch Abschied nehmen…

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Trauernetzwerk Passau beleuchtet Situation Trauernder in der Corona-Zeit

Passau. Wenn ein geliebter Mensch stirbt, steht für die Angehörigen die Welt Kopf. Tiefe Trauer macht sich breit. Auch wenn Trauerprozesse individuell ablaufen, haben sie meist eines gemeinsam: Das Abschiednehmen wird als tröstendes Ritual empfunden. In Corona-Zeiten allerdings war genau das oft nicht möglich, ebenso wenig wie die Begleitung Sterbender auf ihrer letzten Reise.

Was macht das mit den Hinterbliebenen – und mit unserer Gesellschaft? Diese Frage möchte das Trauernetzwerk Passau, ein Zusammenschluss verschiedener Organisationen, die Trauernden zur Seite stehen, aufarbeiten. Unter Federführung des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB) in der Diözese Passau wurden im Evangelischen Zentrum St. Matthäus die vergangenen Monate beleuchtet. Dabei wurde eindrücklich klar, wie einsam Menschen sterben mussten, weil Berührungen und Besuche nicht erlaubt waren, und wie sehr die Situation die Trauerbewältigung der Angehörigen und Freunde erschwert hat.

Beispielsweise berichtete die ehrenamtliche Hospizbegleiterin Birgit Rein-Fischböck aus Neukirchen vorm Wald, dass in den Hochphasen der Pandemie eine Begleitung Sterbender durch den Hospizverein kaum möglich war – und wenn doch, dann auf andere Weise: völlig vermummt, auf Abstand und verbunden mit vielen Zweifeln, ob man die Angehörigen, die eigene Familie oder sich selbst gefährde. Pastoralreferent Wolfgang Plail vom Referat Männer- und Seniorenseelsorge im Bistum Passau wies darauf hin, dass wegen des Veranstaltungsverbots auch keine liturgischen Feiern für Selbsthilfe- oder Trauergruppen angeboten werden konnten. „Die Vorschriften waren sinnvoll, haben aber trotzdem unendliches Leid verursacht. Doch bei aller Kreativität weiß ich nicht, wie man das hätte lösen können“, so Plail rückblickend. Berührende Einblicke gab zudem Bestatter Alfons Kasberger aus Passau. Bei „natürlich Verstorbenen“ seien zwar ein Abschiednehmen am offenen Sarg unter Einhaltung verschiedener Regeln und eine Beerdigung mit begrenzter Anzahl von Gästen möglich gewesen. Bei Verstorbenen, die an Corona erkrankt waren, sah das ganz anders aus. Ein letzter Blick auf den geliebten Menschen, ein letztes Mal die Hand halten – das war nicht mehr möglich, weil der Sarg nicht geöffnet werden durfte. „Für die Angehörigen war es eine Katastrophe“, sagte Kasberger. Vielen habe es aber etwas geholfen, wenn sie der geliebten Person in Form von Sarg- oder Urnenbeilagen noch etwas mit auf den Weg geben konnten – beispielsweise von den Enkeln gemalte Bilder, Liebes- oder Abschiedsbriefe, Fotos oder auch eine Spielkarte, weil der Verstorbene jeden Freitag gekartelt hat. Dinge also, die mit dem geliebten Menschen in Verbindung stehen.

Diskutierten mit dem Publikum (v.l.); Bestatter Alfons Kasberger, Wolfgang Plail vom Referat Männer- und Seniorenseelsorge, Pfarrer und Klinikseelsorger Stephan Schmoll, Hospizbegleiterin Birgit Rein-Fischböck und KDFB-Bildungsreferentin Tanja Kemper, die die Veranstaltung moderierte (Foto: KDFB)

Diese Form der Mitgabe sei auch eine Art der Trauerarbeit gewesen. Kasberger berichtete weiter von anonymen Bestattungen als einem Trend, der stetig zunimmt. Bereits jetzt würden in Deutschland 23 Prozent aller Verstorbenen anonym bestattet. Das heißt: Es gibt keinen Ort, an den die Hinterbliebenen gehen können, um dem geliebten Menschen nah zu sein, was die Trauerbewältigung wiederrum erschweren könne. Stephan Schmoll, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde St. Matthäus in Passau und Klinikseelsorger, stellte die zentralen Fragen, die anschließend im weiteren Erfahrungsaustausch im Fokus standen: „Kann man Trauer ein Stück weit nachholen? Oder bleibt bei nicht gelebter Trauer vielleicht eine Wunde, die gar nicht mehr heilt?“ In der gemeinsamen Diskussion wurden die Fragen weiterentwickelt. Weil die Trauer ja trotzdem präsent und vorhanden war, aber heilsame Rituale zur Trauerbewältigung nicht sein konnten, wurde schließlich beleuchtet, ob sich das würdige Abschiednehmen nachholen lasse. Pfarrer Schmoll könne sich durchaus vorstellen, dass auch nachträglich gemeinsam zum Grab gegangen werden könnte, um wie bei einer Beerdigung gemeinsam Abschied zu nehmen. Aus dem Publikum kam der Vorschlag, dass beispielsweise am ersten Todestag eine derartige Feier nachgeholt werden könnte, damit Angehörige und Freunde die Möglichkeit haben, ihre Emotionen auszuleben und aufzuarbeiten. Auch die Idee, dem Verstorbenen Abschieds- oder Liebesbriefe zu schreiben, wurde als wertvoll erachtet, weil das dabei helfen könne, sich mit der Trauer auseinanderzusetzen. „Zentral ist, dass die Hinterbliebenen gut für sich sorgen, damit die Trauerarbeit den Raum bekommen kann, der notwendig ist“, stellte KDFB-Bildungsreferentin Tanja Kemper fest. Sie geht davon aus, dass begleitende Angebote für Trauernde künftig noch bedeutsamer werden. Neben Einzelgesprächen seien gerade auch Trauergruppen sehr hilfreich, „weil man sich gegenseitig stützt und der Raum für die Trauer da ist. Hier kann vielleicht auch viel an Aufarbeitung nachgeholt werden, was in Corona-Zeiten nicht möglich war“, sagte Kemper.

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