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Hutthurm
Mittwoch, April 24, 2024

„Gutes tun.“

Lesestoff

Schreiben ist auch so eine Art Therapie. Also schreibe ich. Vielleicht können Sie das nachvollziehen und haben sich als Schreiberling in irgendeiner Form auch schon versucht. Ein Tagebuch, ein eigener Blog im Internet oder Sie haben es sich sogar zum Beruf gemacht. Wie auch immer. Über kurz oder lang flüstert eine Stimme unablässig ins Ohr; wie wäre es mit einem eigenen Roman oder Kurzgeschichten? Mögen Sie Kurzgeschichten? Wenn nicht, dann lesen Sie bitte trotzdem weiter und zeigen Sie Mitleid mit dem Schreiberling – also mir. Sehen Sie die Tür dort am Ende? Dort geht es hinab in den dunklen Keller. Aber keine Angst, ich nehme Sie bei der Hand und zeige Ihnen den Weg – auch wieder zurück. Aber nur dieses eine Mal…

Gutes tun.

Mit seinem Taschentuch wischt er sich die Schweißperlen von seiner Stirn und lässt es in den mit Gold umrandeten Kelch fallen, der sich vor ihm auf dem kleinen Holztisch befindet. Alles andere als ein angemessenes Verhalten und schon gar nicht in einem solch alten Gemäuer. Aber darauf kann er keine Rücksicht nehmen, nicht jetzt. Sein Kopf dreht sich zur schweren Eisentür und erhascht einen letzten Blick auf den dunklen Schatten, der dort im Türrahmen steht. „Du tust stets Gutes. Denk daran. Dafür wirst du eines Tages belohnt werden. Und jetzt geh. Vergiss nicht von Draußen die Tür zu verriegeln, bevor du zum Haupttor gehst und deinen Platz einnimmst.“ Darauf antwortet der Schatten nicht. Nur ein dunkles Ächzen stört die Stille im Raum, als die Tür in die Angeln fällt. Gut so, denkt er sich. Für’s erste reicht das. Sein Puls hat sich in der Zwischenzeit auch wieder etwas beruhigt. Schließlich ist das kein leichtes Unterfangen, sich in diesem Alter noch solchen Anstrengungen hinzugeben. Das weiß er nur allzu gut. Während sich seine Augen schließen und er beide Arme baumeln lässt, kommt es ihm so vor, als wäre es gestern gewesen. Vor 45 oder 50 Jahren? Spielt das denn eine Rolle? Für einen winzigen Augenblick überkommt ihm ein Schauer, ähnlich einem Sommergewitter, das wie aus dem Nichts auftaucht und Minuten später schon wieder der Vergangenheit angehört. Was, wenn sie ihm doch noch auf die Schliche kommen? Nach all den Jahren, in denen er doch nur Gutes getan hat? Die dunklen Gewitterwolken verziehen sich aber, und auf seinem Gesicht macht sich ein Lächeln breit. Das werden sie nicht, ganz bestimmt nicht. Nicht jetzt und nicht in diesem Leben. Denn schließlich sind die Jungen nicht klüger geworden. Sie sind genauso berechenbar und dumm wie damals, als die Welt drauf und dran war, sich komplett aus dem Universum zu verabschieden.

Dumpfes Glockengeläut macht sich über seinem Kopf bemerkbar und übertönt seinen wachen Geist. Er öffnet seine Augen und schaut zur Jahrhunderte alten und getäferten Holzdecke hoch, verziert mit Gesichtern aus längst vergangener Zeit. Mit beiden Händen hält er sich am Tischrahmen fest, bevor seine Arthritis geplagten Beine wieder ihren Dienst tun müssen. Jetzt steht er da und sieht an sich herab. Eine eisige Kälte umgibt seine Schenkel. „Auch das muss warten“, sagt er zu sich selbst und zieht mit seiner linken Hand den Umhang bis knapp zu seinen Schuhen hinunter – ob er mit diesem Gewand eines Tages auch beerdigt wird? Bevor er sich der zweiten Tür nähert, die zum Inneren und zum Tempel des Bauwerks führt, riskiert er noch einen flüchtigen Blick in den großen Ankleidespiegel in der Ecke. So, wie er es immer tut. Ja, das bin ich. So kennt man mich. Alles ist so, wie es sein soll. „Zeit, wieder Gutes zu tun“, kommt es von seinen Lippen, während er die kleine Zitadelle verlässt und sich beim Hinausgehen dreimal bekreuzigt. Wie immer.

Anmerkungen

Diese Short Story stammt aus dem Jahr 1999. Noch von Hand und mit Titenfüller geschrieben. In den USA wurde ein Fall bekannt, bei dem ein Pfarrer über Jahrzehnte hinweg seine Schützlinge sexuell missbraucht hat.  Zusätzliche (geistige) Befriedigung verschaffte sich der Pfarrer, indem er seine Schandtaten kurz vor den jeweiligen Gottesdiensten in der Kirche vollzog – also in jenem Kämmerlein, das in der Regel einem Pfarrer dazu dient, sich für den anstehenden Gottesdienst umzuziehen und vorzubereiten.

Und um eine Brücke zum aktuellen Geschehen zu schlagen – Bis zu 700 Opfer sollen es sein, bei den Regensburger Domspatzen.

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