Eigenanteile für Pflegebedürftige drohen um mehr als 300 Euro pro Monat zu steigen
Münchern. Einer Erhebung des Bayerischen Roten Kreuzes zufolge sind Strom- und Gaskosten der Pflegeeinrichtungen zum 1. September 2022 um teilweise mehr als 80 Prozent gestiegen, gemäß aktueller Prognosen werden diese spätestens zum Jahreswechsel um deutlich mehr als 100 Prozent steigen. Spätestens mit Abschluss neuer Lieferverträge wird das alle Einrichtungen treffen. Gaslieferverträge lassen sich in vielen Fällen nicht mehr schließen, weshalb auf teure Grundversorger-Tarife zurückgegriffen werden muss, um überhaupt noch eine Lieferung mit Strom und Gas zu bekommen.
„Diese Kostensteigerungen bleiben erstmal bei den Trägern und können bisher nur über neu zu verhandelnde Pflegesätze auf die Kostenträger und Bewohner umgelegt werden. Dann schlagen sie allerdings unmittelbar auf die Eigenanteile der Pflegebedürftigen durch, da sie nicht durch Zuzahlungsbeträge der Pflegekassen gedeckt sind“, betonte BRK-Präsidentin Angelika Schorer im Gespräch mit der Abendzeitung München.
Im Wesentlichen setzen sich die Kostensteigerungen aus den folgenden Faktoren zusammen:
Gestiegene Energiekosten erzeugen Mehrkosten in Höhe von ca. 3,20 Euro pro Bewohner und Tag. Zum Ausgleich der Inflations- und Preissteigerungsrate wurden die Tariflöhne notwendigerweise angehoben ,was sich pro Bewohner und Tag mit ca. 7,00 Euro bemerkbar macht. 60 bis 70 Prozent der Kosten einer Pflegeeinrichtung setzen sich aus Personalkosten zusammen. Auch die Kosten für Lebensmittel sind um mehr als 15 Prozent gestiegen, was sich alleine schon pro Tag um ca. 0,70 Euro pro Tag und Bewohner bemerkbar macht.
Je nach Pflegegrad steigt das tägliche Entgelt pro Bewohner somit um 9,00 bis 12,00 Euro. In einer Einrichtung mit 66 vollstationären Pflegeplätzen entstehen demnach Mehrkosten für Bewohnerinnen und Bewohner in Höhe von 366,00 Euro pro Monat bzw. 4.390,00 Euro pro Jahr. Die prognostizierten Erhöhungen der Energiekosten liegen dabei deutlich höher bei ca. 300,00 bis 500,00 Euro pro Einrichtung und Monat. Bei einer Einrichtung mit 100 Pflegeplätzen bedeutet das eine nicht gedeckte einergiebedingte Kostensteigerung von 300.000 bis 500.000 Euro pro Jahr.
Die Ergebnisse der internen Erhebung des Bayerischen Roten Kreuzes bewertete BRK-Präsidentin Schorer im AZ-Gespräch als alarmierend: „Das sind besorgniserregende Kostenexplosionen, die keine Pflegebedürftige und kein Pflegebedürftiger wegstecken kann. Es stehen schwere Zeiten für Pflegebedürftige und -einrichtungen bevor. Wenn nicht schnell eine echte Entlastung für Pflegebedürftige und -einrichtungen kommt, werden viele Einrichtungen schließen müssen und viele Pflegebedürftige werden sich die professionelle Pflege nicht mehr leisten können. Die Pflege darf nicht zur Armutsfalle für Pflegebedürftige werden. Der Sozialstaat ist nun gefordert, eine echte Entlastung auf den Weg zu bringen.“
Darüber hinaus weist Schorer darauf hin, dass die pflegenden Angehörigen von den Entlastungspaketen der Bundesregierung bis heute nicht profitieren, da sie keine Energiepreispauschale erhalten. Betroffen sind Angehörige, die nicht mehr erwerbstätig und noch nicht in Rente sind. Dabei ist auch die versprochene Erhöhung des Pflegegeldes dringend notwendig und muss daher zeitnah erfolgen.
„Die Einrichtungen der Pflege sind durch die Nachwirkungen der Coronavirus-Pandemie, reduzierter Betreuungskapazitäten und dem Wegfall des Pflegerettungsschirms zum 1. Juli 2022 einem extremen Kostendruck unterworfen. Verschärft wird diese Situation durch die Personalnot, den Fachkräftemangel und die belastungsbedingte Fluktuation“, ergänzte Angelika Schorer. „Diese Großwetterlage stellt die Pflege vor eine fortwährende Zerreißprobe, die auf dem Rücken des pflegenden Personals und der Angehörigen ausgetragen wird.“