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Donnerstag, März 28, 2024

Im Bücherregal: Cars and Crimes

Lesestoff

Die Achsen der Bösen

Wie hätte Mafia-Boss Alphonse „Al“ Capone im Chicago der 1920er Jahre ohne Autos seinen Alkoholschmuggel organisieren oder seine Widersacher in Drive-thru-Schießereien ausschalten sollen? Was wäre aus Bonnie und Clyde geworden, wenn sie nicht in jedem US-Provinzkaff einen Ford V8 zum Flüchten gefunden hätten? Und wäre Rosemarie Nitribitt auch ohne ihren schwarzen Mercedes 190 SL so berühmt geworden?

Das Auto hat nicht nur die Welt verändert, sondern auch die Halbwelt, indem es den Verbrechern ganz neue Möglichkeiten eröffnete. Banküberfälle mit halsbrecherischen Verfolungsjagden und Schmuggler-Touren zählten dabei ebenso wie Kidnapping oder Taximorde zu den neuen Delikten, die das Auto begünstigte. Anhand von zwölf Kriminalfällen aus der Zeit von 1930 bis 1985 schildert der Journalist und Autor Christian Steiger in seinem reich bebilderten Buch „Cars and Crimes“, wie der Kraftwagen auf die schiefe Bahn geriet.

Die Auswahl scheint dabei eher ekletisch und folgt – außer dass bestimmte Autotypen eine Rolle spielen – keiner nachvollziehbaren Struktur. So startet das Buch zunächst in einem Intermezzo über den Entführer des Charles-Lindbergh-Babys, um dann in die deutsche Nachkriegs- und Wirtschaftswunder-Epoche zu springen. Auch die Verbindung zu den entsprechenden Autos sind nicht immer evident. Aufhänger der Story über die Entführung des Lindbergh-Baby ist ein Dodge Six Sedan von 1929, den der dafür verurteilte Exil-Deutsche Bruno Hauptmann besessen hatte, der aber weiter keine große Rolle spielt. Und Al Capones gepanzerter Cadillac Town Sedan von 1928 scheint angesichts des Fuhrparks der Chicagoer Gangster-Legende der 30er Jahre ebenso etwas willkürlich, um dessen Aufstieg und Abgang zu schildern.

Am Lesevergnügen ändert das alles jedoch nichts, versteht es der ehemalige Autobild-Klassik- und Classic Cars-Chefredakteur doch, aus den akribisch zusammengetragenen Fakten, Figuren und Fahrzeugen in wortgewandt amüsanter Darstellung und mit einer Fülle an Polizei- und Pressefotos, Zeitzeugenberichte und Zeitungsausrisse ein spannendes Kaleidoskop der jeweiligen Dekaden zu erzeugen.

So ist die Geschichte von Bonnie & Clyde ohne ihre Vorliebe für den Ford V8, in dem das von Hollywood glorifizierte Gangsterpärchen im Polizei-Kugelhagel starb, nicht zu erzählen. Kurz vor seinem Tod soll Clyde Barrow sogar noch einen Brief an Henry Ford geschrieben haben, um ihm „zu sagen, was für ein feines Auto Sie mit dem V8 haben“. Tatsächlich gehörte der Wagen mit seinem 3,6-Liter-V8-Motor und 86 PS zu den stärksten und fahrsichersten Autos seiner Zeit und verbreitete sich als Erfolgsmodell rasend schnell auf den Straßen. Auch Sonderermittler Frank Hamer, der mit fünf weiteren Polizisten am 23. Mai 1934 auf einer Landstraße in Louisiana das Pärchen in einem abermals geklauten cordobagrauen Ford 730 Deluxe Sedan stellte, fuhr einen solchen Ford V8.

Aber auch im Deutschland der Nachkriegszeit gab es spektakuläre Auto-Krimis, die seinerzeit die Titelblätter der Zeitungen füllten, inzwischen aber aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden sind. Wie etwa der Mannheimer Postraub von 1950. Auch hier war es ein Ford V8, Modelljahr 1948, mit dem sechs junge Räuber am 9. Juni 1949 einen verschlissenen Bergmann-Elektrowagen überfallen und einen Geldsack mit 160.000 frisch gedruckter D-Mark erbeuteten. Geschnappt werden sie erst nach wochenlangem Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei, weil sich einer der Jungs von der Beute einen 7000 D-Mark teuren Opel Kapitän kauft, der wegen des dekadenten Ausstattungsmerkmals eines Radios auffällt.

Und auch das Auto selbst wurde zum Tatort. So waren die Fünfziger Jahre bekannt für die so genannten „Liebespaarmorde“, bei denen unverheiratete junge Paare beim automobilen Stelldichein im Wald Opfer von Raubüberfällen und Mördern wurden. Oder die Taximorde, ein typisches Delikt der deutschen Nachkriegsjahre, das sogar zu einer parteipolitischen Diskussion um die Wiedereinführung der Todesstrafe führte. Auf das räuberische Geld aus war auch Gerhard Popp, der 1956/57 im Raum Hannover als Frau verkleidet Geschäftsleute auf der Suche nach Prostituierten in ihren Opel Rekords, dem Statussymbol der kleinen Chefs der Aufbauepoche, kaltblütig ermordete. Einer der aufwühlendsten Kriminalfälle und ersten Sensationsprozesse der Fünfziger Jahre, den der „Spiegel“ 1956 sogar zur Titelstory machte, drehte sich um das ausgebrannte Wrack eines Borgward Hansa 1800 in der Nähe von Kaiserslautern, in dem der Zahnarzt Richard Müller zwei Jahre zuvor seine Frau mit einem Katalytofen, einem damals üblichen Autozubehör, abgefackelt haben soll.

Die bekannteste Cars-and-Crimes-Geschichte des deutschen Wirtschaftswunderlands aber ist der Mord an der Frankfurter Prostituierten Rosemarie Nitribitt im Jahr 1957, nicht zuletzt durch den von ihr gefahrenen Mercedes 190 SL, der als Nitribitt-SL in die Autohistorie eingehen sollte. Als Kind vergewaltigt und von zahlreichen Heimaufenthalten geprägt, macht die ebenso rebellische wie selbstbewusste Frau Anfang der 1950er Jahre eine Karriere als Edel-Prostituierte, die ihre Freier mit ihrem Auto aufgabelte. Dazu zählten damalige Wirtschaftsgrößen wie Harald von Bohlen und Halbach aus der Essener Krupp-Dynastie und Harald Qandt oder Promis wie Gunter Sachs und der legendäre Porsche-Rennchef Huschke von Hanstein ebenso wie Bonner Spitzenpolitiker.

Bereits 1953, nachdem sie sich mit 20 Jahren vorzeitig für volljährig erklären ließ und ihren Führerschein machte, fuhr sie einen Ford Taunus 12 M. Für das damals 7535 Mark teure Modell mit der verchromten Weltkugel am Bug, mussten selbst Ärzte und leitende Angestellte einen Kredit aufnehmen. Nachdem sie den Wagen schon nach einem Jahr zu Schrott gefahren hatte, kaufte sie für 10.000 Mark einen Opel Kapitän mit Weißwandreifen, zu jener Zeit ein Chefwagen, mit dem sich Vorstände chauffieren ließen. Zu ihrem „Markenzeichen“ jedoch wird der schwarze Mercedes 190 SL mit weißem Hardtop und roten Sitzen, den sie am 28. Februar 1956 beim Mercedes-Händler an der Frankfurter Kaiserstraße für 17.500 Mark erwirbt. Nach dem Mord, der durch schlampige Ermittlungen der Frankfurter Kripo nie aufgeklärt wurde, fehlt von ihm bis heute jede Spur.

„Cars and Crimes. Von Al Capone bis Rosemarie Nitribitt“ von Christian Steiger ist im Motorbuch-Verlag erschienen, hat 256 Seiten mit 180 Abbildungen und kostet 29,90 Euro. (aum/fw)

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