Wissenschaftliche Auswertungen zeigen: In nutzungsfreien Wäldern wird CO2 länger gebunden als in Holzprodukten
Grafenau. Kann sich Deutschland nutzungsfreie Wälder für den Biotop- und Artenschutz leisten? Diese Frage wird aktuell oft vor dem Hintergrund des Klimawandels diskutiert und muss klar mit einem „Ja“ beantwortet werden. Der Vorwurf, Wirtschaftswald speichert CO2, während Naturschutzwälder als CO2-Quelle agieren, hält einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand.
Ein Wirtschaftswald liefert Holzprodukte, wie Möbel, Papier oder auch Bauholz. Im Naturschutzwald wird die Ressource Holz nicht genutzt. Sterben Bäume ab, verbleiben sie als Totholz im Wald. Sowohl Holzprodukte als auch Totholz speichern CO2 – und zwar so lange, bis die Holzprodukte nicht mehr gebraucht und entsorgt werden oder das Totholz verrottet ist. Untersuchungen in Thüringen zeigten, dass Nutzholz eine mittlere Verweildauer von 21 Jahren hat. Das heißt, dass nach 20 bis 25 Jahren 66 Prozent der Masse der Holzprodukte verbrannt sind. Die mittlere Verweildauer von Totholz im Wald liegt bei 40 bis 50 Jahren. „Totholz hält CO2 also deutlich länger zurück“, erklärt Dr. Franz Leibl, Leiter des Nationalparks.
„Die mittlere Verweildauer von Nutzholz könnte erhöht werden, wenn nicht mehr gebrauchte Produkte, zum Beispiel Dach- und Deckenbalken, eine andere Verwendung finden.“ Diese sogenannte Kaskadennutzung ist derzeit noch unterentwickelt. Einer möglichen Wiederverwertung, beispielsweise von Abbruchholz zur Holzpalette und weiter zur Faserholzpalette, steht im Weg, dass „es noch keine Weiterverarbeitungslinien im größeren Maßstab gibt“, so Leibl. „Nicht mehr gebrauchtes Holz wird derzeit verbrannt.“
Ein weiteres Argument, das bei diesem Thema häufig gegen Schutzgebiete vorgebracht wird, ist die Freisetzung von CO2 aus dem Boden nach Störungen. „Dies geschieht, weil Bodenmikroorganismen Humus im und auf dem Boden als Energiequelle veratmen“, erklärt Burkhard Beudert, Forscher im Nationalpark. Dabei spielt es keine wesentliche Rolle, welcher Art diese Störungen sind. „Egal ob Hieb im Wirtschaftswald oder Sturm im Schutzwald – in beiden Fällen wird ungefähr gleich viel CO2 freigesetzt.“ Entscheidend ist, wie schnell und stark die Folgevegetation wieder mehr CO2 speichert als durch Atmung frei wird. „Verbleibendes Totholz gleicht die Humusverluste des Bodens etwas aus, während Verletzung und Durchmischung des Oberbodens durch schweres Gerät sie erhöhen.“
Beudert weist in dieser Diskussion auf eine bedeutende aktuelle Studie von Prof. Rupert Seidl vom Lehrstuhl für Ökosystemdynamik und Waldmanagement an der TU München hin. Das Forscherteam hat die künftige CO2-Speicherung im Rachel-Lusen-Gebiet des Nationalparks Bayerischer Wald unter fünf verschiedenen Klimaszenarien berechnet. Je nach Ausmaß des Klimawandels werden dabei Stärke und Häufigkeit von Störungsereignissen wie Windwurf und Borkenkäferbefall simuliert. Die Entwicklung des Kohlenstoffvorrats in den Baumbeständen mit allen ober- und unterirdischen Bestandteilen sowie im Boden wurde über 200 Jahre berechnet.
Demzufolge steigt die oberirdische Kohlenstoffspeicherung über die nächsten 100 Jahre um 40 bis 100 Prozent an, die unterirdische Kohlenstoffspeicherung wächst über die nächsten 50 Jahre um 10 Prozent. Erst dann wird ein relativ stabiles Level erreicht. Gegenüber dem Ausgangswert im Jahr 2012 erhöht sich demzufolge der gespeicherte Kohlenstoffvorrat deutlich. Die Frage nach der Klimarelevanz des Biotop- und Artenschutzes im Nationalpark lässt sich für die Zukunft daher eindeutig beantworten: Die Wälder des Nationalparks wie auch anderer Naturschutzwälder sind in den kommenden Jahrzehnten eine Nettosenke für Kohlendioxid.
Ein weiterer wichtiger Diskussionspunkt ist der Substitutionseffekt. Damit ist gemeint, dass energieintensive Baustoffe, wie Glas, Beton, Stahl oder Aluminium, durch Holz ersetzt werden und damit der CO2-Ausstoß gesenkt wird. Nachdem das Holz der Schutzgebiete nicht genutzt wird, entfällt dieser positive Effekt. Laut Beudert sei dies jedoch wenig bedeutsam. „Im schlimmsten Fall erhöht die Nicht-Nutzung des Holzes im Nationalpark die deutschen Treibhausgasemissionen um 0,02%. Dafür gesetzlichen Biotop- und Artenschutz in Frage zu stellen, erscheint nicht verhältnismäßig.“