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Dienstag, April 23, 2024

Tempolimit auf Autobahnen

Lesestoff

Gut für das Klima – gut für die Gesundheit

Es ist eine von vielen zentralen Fragen, die auch im aktuellen Bundestagswahlkampf wieder die Gemüter bewegt. Dabei geht es aber weniger um die Fragestellung, ob Deutschland ein Tempolimit auf Autobahnen ‚braucht‘, sondern viel mehr darum, wann es denn endlich soweit ist und eingeführt wird. Denn schon längstens ist bewiesen, dass eine Geschwindigkeitsbegrenzung nicht nur zu weniger Toten und Verletzten führen würde, sondern auch positive Effekte für Millionen von Anwohnern im Umkreis zur Folge hätte – und ganz nebenbei würde man damit noch unserem höchsten Gut – dem Klimagut – wahrhaftig etwas Gutes tun.

Deutschland ist in Europa das einzige Land, in dem auf Autobahnen so schnell fahren darf, wie man will (oder es das Gefährt eben zulässt) – zumindest auf Teilstrecken. Kein Tempolimit finden wir in Deutschland auf insgesamt 70,4 Prozent der Autobahnstrecken (oder 18.115 Kilometern) vor, das geht aus einem Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen aus dem Jahr 2017 hervor.

Belgien (120 km/h), Dänemark (130 km/h), Österreich (130 km/h), Polen (140 km/h), Spanien (120 km/h) oder Norwegen (90/100 km/h, je nach Beschilderung) haben es – ein Tempolimit auf Autobahnen. Aus Jux und Tollerei? Nein, in erster Linie einfach deshalb, um damit die Verkehrssicherheit zu erhöhen, weniger Getötete und Verletzte in Kauf nehmen zu müssen – Ursache und Wirkung. Denn, das zeigt nicht nur eine breite und internationale Literatur oder zig Studien, die in den letzten Jahren in Auftrag gegeben wurden; die mit Abstand häufigste Ursache für tödliche Unfälle im Straßenverkehr ist und bleibt überhöhte Geschwindigkeit. Man(n) kann es drehen und wenden, wie man will.

Und so kommen auch Ökonomen der niederbayerischen Universität Passau und der Hertie School in Berlin – einmal mehr – zum Schluss, dass ein Tempolimit im Straßenverkehr eben nicht nur die Anzahl an Verkehrsopfern reduzieren würde, es hätte darüber hinaus noch weitere Effekte, von denen Millionen Menschen profitieren könnten. Das zeigen die beiden Professoren Stefan Bauernschuster (Inhaber des Lehrstuhls für Public Economics an der Universität Passau) und Christian Traxler (Ökonomie an der Berliner Hertie School) in einem Beitrag für die Fachzeitschrift „Perspektiven der Wirtschaftspolitik“.

Da bei hohen Geschwindigkeiten Emissionen von Schadstoffen überproportional zunehmen, könne somit ein Tempolimit über einen Rückgang an Luftverschmutzung der Gesundheit zuträglich sein. „Studien aus den USA kommen sogar zu dem Schluss, dass die Gesundheitseffekte eines Tempolimits durch einen Emissionsrückgang ähnlich stark sein könnten, wie jene durch die erhöhte Verkehrssicherheit“, sagt Professor Bauernschuster. Doch leider spielt das in den immer wiederkehrenden Debatten um ein Tempolimit kaum bis gar keine Rolle.

In einem weiteren Beitrag der beiden Professoren zeigen sich anhand von kleinräumigen geographischen Raster-Daten: In Deutschland leben 15 Millionen Menschen im Umkreis von zwei Kilometern zum nächsten Autobahnabschnitt ohne Tempolimit. „Diese Werte weisen darauf hin, dass ein beachtlicher Teil der Bevölkerung unmittelbar von einem Emissionsrückgang profitieren könnte“, schreiben die Autoren. Dass Luftverschmutzung durch den Pkw-Verkehr auch in Deutschland zu nicht unerheblichen Gesundheitsproblemen, insbesondere bei Kindern und älteren Menschen, führt, ist in einer Reihe von empirischen Arbeiten schon längstens nachgewiesen worden.

Natürlich hätte auch ein Tempolimit einen nicht vernachlässigbaren Effekt auf die CO2-Emissionen des (Pkw-) Verkehrs, die über die letzten 25 Jahre gestiegen sind: hierbei berufen sich auch die beiden Ökonomen auf Berechnungen des Umweltbundesamts, wonach bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 Stundenkilometern, der CO2-Ausstoß in einem Ausmaß zurückgehen würde, welches einer Reduktion des Pkw-Verkehrs in Städten um 13 Prozent entspricht.

Corona-Pandemie hin oder her: Für eine Mehrheit der Deutschen gehören Umwelt- und Klimafragen zu den wichtigsten Themen, so das Ergebnis einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage im Auftrag des Bundesumweltministeriums und des Umweltbundesamts. Rund 65 Prozent der Befragten halten beide Themen weiterhin für sehr wichtig. So sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) dazu: „Besonders interessant wird die Studie da, wo es konkret wird, etwa beim Tempolimit.“ Den Ergebnissen zufolge sind insgesamt 64 Prozent der Befragten „auf jeden Fall“ oder „eher“ der Ansicht, dass eine Geschwindigkeitsbegrenzung kommen sollte.

Klare Gewinner eines allgemeinen Tempolimits wäre übrigens auch ein Großteil des Leichtverkehs, und zwar jene Autofahrerinnen und Autofahrer, die bereits jetzt schon nicht schneller als 130 Stundenkilometer fahren. Denn durch den Rückgang an unfallbedingten Staus, Sperrungen und Umfahrungen ergäben sich klare Zeitgewinne. Diese Zeitgewinne würden bis zu einem gewissen Grad auch die Zeitverluste für jene kompensieren, die wegen des Tempolimits dann mit niedrigerer Geschwindigkeit fahren würden.

Übrigens; die letzte systematische Evaluationsstudie zum Tempolimit ist vom Bundesverkehrsministerium vor mehr als 45 Jahren in Auftrag gegeben worden. Deshalb untermauern auch die beiden Ökonomen aus Passau und Berlin die Forderung des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesverkehrsministerium nach einer „stärker evidenzbasierten Verkehrspolitik“. Denn genau das würde die oftmals – eigentlich immer – emotional geführte Debatte um ein Tempolimit versachlichen.

Ein Tempolimit auf Autobahnen fand letztmals auch im September 2020 im Bundestag keine Mehrheit. Ein neuerlicher Vorstoß der Grünen lehnte eine deutliche Mehrheit der Parlamentarierinnen und Parlamentarier ab. Für den Antrag stimmte nur noch die Fraktion Die Linke, CDU/CSU, SPD, FDP und AfD waren dagegen.

„Gegen jeden Menschenverstand“ sei ein Tempolimit, das waren die Worte von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) 2019 zu den Vorschlägen aus einem Gremium zu Beratungen über die Zukunft der Mobilität – gegen jedes ökonomische und ökologische Verständnis wäre es jedoch, nach der Bundestagswahl – und egal in welcher Regierungskonstellation – vier weitere Jahre lang ein Tempolimit zu verhindern. Es wäre beinahe so, als würde man das Corona-Virus ignorieren, geschweige denn überhaupt daran glauben.

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