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Dienstag, April 16, 2024

Stadtentwicklung im Brennglas der Pandemie

Lesestoff

Bei der Podiumsdiskussion „Corona – Stadtentwicklung vor neuen Aufgaben“ erläuterte Dr. Olaf Heinrich, niederbayerischer Bezirkstagspräsident und Bürgermeister der Stadt Freyung, Wege zu einer erfolgreichen Innenstadtbelebung und berichtete über seine Erfahrung bei der Stadtentwicklung am Beispiel von Freyung.

Zur Diskussion eingeladen hatte die Hanns-Seidel-Stiftung in München. Neben Kerstin Schreyer, Staatsministerin für Wohnen, Bau und Verkehr, und dem Bezirkstagspräsidenten waren Prof. Agnes Förster, Architektin und Stadtplanerin mit Professur an der RWTH Aachen, und Jan Weber-Ebnet, Architekt und Quartiersmanager in Augsburg, der Einladung gefolgt, um über die neuen Herausforderungen und Lösungsansätze zu diskutieren. MdEP Markus Ferber, Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung, stellte in seiner Einführung fest, dass vor allem der stationäre Einzelhandel derzeit sehr schwere Lasten träge. Dies führe zu vielen Leerständen und es seien kreative Konzepte nötig, um die Innenstädte zu beleben.  

Voraussetzung für eine Betüchtigung von Ortskernen seien gute Verkehrsanbindungen und Digitalisierung, so Ministerin Schreyer. „Bürgerschaftliche Entwicklung kann aber nur auf kommunaler Ebene realisiert werden.“ Dazu biete der Freistaat den Kommunen z. B. mit der Städtebauförderung die nötige Förderkulisse an.

Innovative Ideen für eine Belebung des Ortskerns zu entwickeln und umzusetzen, sei Freyungs Bürgermeister Dr. Heinrich in der Vergangenheit sehr gut gelungen, stellte Moderatorin Kerstin Tschuck fest. Vor rund zehn Jahren habe es in der Ortsmitte von Freyung etwa 40 Prozent Leerstand gegeben, erwiderte Heinrich. Für die Stadtentwicklung sei entscheidend gewesen, dass der Stadtrat erkannt habe, dass die Innenstadt die Visitenkarte eines Ortes ist. „Wenn es gelingt, einen Ort wieder mit Leben zu füllen – mit Einzelhandel, Gastronomie und kulturellem Leben – dann ist das für alle, die dort leben ein Gewinn, aber auch für die gesamte Außenwahrnehmung des Ortes. Daher hat die Stadt gemeinsam mit den Akteuren vor Ort ins Zentrum investiert, also mit den Menschen, die in der Stadt leben und eine emotionale Bindung zu ihr haben.“ Statt hohe Renditen zu versprechen, müsse man den Menschen vermitteln, wie sinnstiftend es ist, den eigenen Ort zu entwickeln, so Heinrich weiter. „Wir werden die Innenstädte nicht alleine durch kommunale und staatliche Mittel beleben können, sondern brauchen eine Kombination mit privatem Engagement.“  

Corona habe den Trend zu mehr Bürgerbeteiligung unter anderem durch die Digitalisierung verstärkt, so Jan Weber-Ebnet. Dies zeige sich unter anderem daran, dass früher beispielsweise 25 Zuschauer zu einer Augsburger Bürgerversammlung gekommen seien, in aktuellen Corona-Zeiten aber häufig mehrere hundert Personen über digitale Medien daran teilnehmen.

„Wir brauchen die Energie der Menschen“, stellte auch Prof. Agnes Förster fest. Innenstädte sollten Erlebniswelten, aber auch Alltagswelten sein. Das Erfolgsgeheimnis von Freyung liege unter anderem darin, dass es ein Ortszentrum geschaffen habe, in dem Alltagsleben stattfindet, so Prof. Förster, die den Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung an der RWTH Aachen innehat. „Wir haben mit dem Fokus auf den Handel den Blick auf das alltägliche Leben ein Stück weit vernachlässigt“. Zielführend seien neue Mischungen und Nutzungen, dazu gehöre beispielsweise auch Wohnen.

„Freyung hat vom Modellprojekt ‚Ort schafft Mitte‘ profitiert, weil wir dadurch einiges ausprobieren konnten. Damals hatten wir in den Erdgeschossen bereits eine gute Nutzung, aber in den oberen Stockwerken immer wieder Leerstand,“ so Heinrich. So habe Freyung drei Jahre lang für das Wohnen in der Stadt mit seinen großen Vorzügen geworben und sehr gute Erfahrungen gemacht, denn der Vorteil der kurzen Wege biete eine sehr hohe Lebensqualität. Um eine vielfältige und lebendige Ortsmitte mit Handel, Gastronomie, Kultur und Alltagsleben zu schaffen, müsse man einen ständigen Dialog mit der Bevölkerung führen und Begeisterung wecken. So würden die Menschen selbst aktiv werden und wären bereit zu investieren. Um Vertrauen zu schaffen, brauche es aber auch die Verbindlichkeit der Politik. Beispielsweise sei im Freyunger Stadtrat die einstimmige Entscheidung getroffen worden, dass es keinen innenstadtrelevanten Einzelhandel außerhalb des Zentrums geben werde. Dies sei seither konsequent verfolgt worden.

Heinrich zeigte sich davon überzeugt, dass die Corona-Krise neben der enormen Belastung auch Chancen berge. Denn derzeit zeige sich, dass viele junge, gut ausgebildete Fachkräfte und Firmengründer in die Peripherie Bayerns gingen, weil sich durch den digitalen Wandel gezeigt habe, dass Unternehmen auch jenseits der Ballungsräume erfolgreich sein können.  Aktuell wisse niemand, wie lange die Einschränkungen durch die Pandemie insbesondere für den stationären Einzelhandel noch andauern werden, so Heinrich weiter. „Trotz des gezeigten Durchhaltevermögens werden es wohl nicht alle schaffen.“ Gerade die Verbraucher hätten hier eine Mitverantwortung. „Denn jeder Konsument trifft jeden Tag Richtungsentscheidungen für seine Heimatstadt.“

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