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Freitag, Dezember 13, 2024

Vom Weggehen und Ankommen

Lesestoff

(von Tobias Schmidt)

Migration ist ein globales Phänomen. Menschen verlassen einen Ort auf der Suche nach einer neuen Bleibe, die ihnen idealerweise einmal Heimat sein wird. Auf 60 Millionen wird die Anzahl allein derjenigen geschätzt, die weltweit vor Drangsalen wie Krieg, Hunger und Verfolgung in ein anderes Land fliehen.

Die aus dem Fernsehen bekannten deutschen Auswanderer samt ihrer telegen erzählten Geschichten vom Weggehen und Ankommen an irgendeinem entfernten Ende dieser Welt sind da also noch nicht einmal mitgezählt. In Passau sind in den vergangenen Jahren viele Flüchtlinge angekommen. Es wird viel von ihnen gesprochen und viel für sie getan. Doch nach den Erlebnissen, die ein jeder mit sich herum trägt, fragen wir Einheimischen selten. Mag sein, dass uns Geschäftigkeit, (übergroße?) Rücksichtnahme, Selbstzufriedenheit oder schlichtweg Fremdsprachenkenntnisse dies verleiden, vielleicht fragen wir aber auch generell zu wenig.

Eine schöne Initiative vertauscht deshalb die Rollen: Das Erzählcafé von NoBorder Passau und vinty’s und lädt geflüchtete Menschen ein, ihre ganz eigene Geschichte vom Weggehen und Ankommen zu erzählen und mit Passauern darüber ins Gespräch zu kommen. Mit Migration haben beide übrigens Organisatoren auf ihre Weise zu tun. Das Bürgerbündnis NoBorder begleitet zum Beispiel Flüchtlinge bei Ämtergängen; vinty’s verkauft Textilien zugunsten des Entwicklungshilfewerks „Aktion Hoffnung“. Am vergangenen Mittwochabend fand zum wiederholten Mal ein Erzählcafé in den Geschäftsräumen von vinty’s mit 3 Flüchtlingen und etwa 50 Zuhörern statt. Zwischen vollbehängten Kleiderstangen sitzend berichteten Flüchtlinge aus Mali, Syrien und Afghanistan jeweils eine halbe Stunde lang, danach konnten die Zuhörer in eine andere Erzählgruppe wechseln. Die Sprachen des Abends waren mit Deutsch durchsetztes Englisch und Französisch. Das mag einen Teil der interessierten Zuhörerschaft ausschließen, andererseits waren so aber auch die berichteten Fluchtgeschichten allesamt jüngeren Datums. Die von Mohammad Aref Khalid Ahmadi aus der afghanischen Hauptstadt Kabul datiert zum Beispiel auf Januar 2013. Bereits international erfahren, konnte sich der Jurist und junge Vater mit Anfang 30 zum besser gestellten Teil der Gesellschaft zählen. Die internationale Gemeinschaft leistete Aufbauhilfe; als Regierungsangestellter leitete Ahmadi ein internationales Team, welches zum Beispiel Kindereinrichtungen und Sportanlagen für Frauen plante. Doch das Land ist über seine zukünftigen Kurs mitsamt der Rollen von Frauen, Kindern und Körperertüchtigung darin bis heute nicht im Reinen. Ahmadis Familie erhielt Drohbotschaften, schließlich „verließen wir binnen 24 Stunden das Land“. In der Bundesrepublik folgte ein Leben zwischen Vorurteilen, Aufgenommen werden, einschneidenden Ereignissen wie der Geburt des zweiten Kindes, aber auch Alpträumen, angesichts der Erlebnisse, Schreckensszenarien und Fernsehbilder aus der alten Heimat. Wo denn seine Heimat sei, wurde Ahmadi beim Erzählcafé gefragt – die Kinder und ihre sprachliche Inkulturation speziell ins Bairische hätten den Eltern das Nachdenken darüber abgenommen. Seine Frau, eine Medizinerin, sei lange nicht über hiesige Vorurteile hinweg gekommen, warum also Deutsch lernen? Er selbst war da zäher: „Bei Wind und Wetter sind einige von uns mit dem Fahrrad von der Unterkunft im Landkreis in die Stadt zum Sprachkurs gefahren.“ Die Kinder und ihre sprachliches Aufwachsen speziell im Bairischen hätten schließlich über das wie und wo des Beheimatetseins entschieden. Und auch die eigene Kommunikationsstärke, half Ahmadi voran zu kommen. Neben Englisch und Deutsch spricht er fast sämtliche Sprachen afghanischer, pakistanischer und iranischer Migranten, also Dari, Farsi, Pashto und Urdu. Als Übersetzer und interkultureller Berater fand er eine Anstellung. „Heute unterstütze ich als Steuerzahler andere, auch Flüchtende. Und helfe auch selbst ganz direkt.“ Bei den vielen Ämtergängen, die mit einem längerfristigen Bleiberecht zusammenhängen, aber auch jenen, die die Politik der Zäune gerade nicht mehr voran kommen lässt: „seit Jahresbeginn war ich bislang dreimal in Griechenland“. Weil Mohammad Aref Khalid Ahmadi zwar gerade seinen Weg in die berufliche Selbstständigkeit  plant, aber eben auch nicht vergessen hat, dass „ich gestern noch einer von ihnen war.“ Für den Spätherbst ist wieder ein Erzählcafé geplant. Erzähler und Zuhörer willkommen.

 

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