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Samstag, April 20, 2024

„Mehr Bahnhof geht eigentlich nicht“

Lesestoff

Jahrzehntelang war der Bahnhof von Bayerisch Eisenstein Symbol für die Teilung Europas. Gut 30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist das Bahnhofsgebäude, von einer Staatsgrenze durchzogen, zu einem Symbol für das Zusammenwachsen Bayerns und Böhmens geworden. 2017 wurde der Halt als „Deutschlands schönster Tourismusbahnhof“ geadelt

Bayerisch Eisenstein (obx). Während der Zeit des Kalten Krieges war er ein kurioses Exempel für das geteilte Europa: der Bahnhof Bayerisch Eistenstein im Bayerischen Wald. Vom Königreich Bayern und der österreichischen K. & K. Monarchie ursprünglich als Symbol der Völkerverständigung gemeinsam gebaut, fristete der einzige geteilte Bahnhof Europas jahrzehntelang ein trauriges Dasein als kurioses Fotoobjekt am Ende der westlichen Welt. Der Eiserne Vorhang lief mitten durch das Bahnhofsgebäude, Stacheldrahtverhau und Panzersperren inklusive. Die Züge auf bayerischer Seite endeten unmittelbar vor dem Grenzzaun. Gut 30 Jahre nach der Grenzöffnung rollen wieder Züge über die bayerisch-tschechische Grenze.

Eine hochkant angenagelte Eisenbahnschiene an der weißen Eingangstüre markiert noch immer die Staatsgrenze: Die eine Hälfte des Bahnhofsgebäudes aus Granitstein steht auf tschechischem, die andere Hälfte auf deutschem Boden. Erbaut wurde der Haltepunkt vor rund 150 Jahren, als Bayern und Österreich-Ungarn gemeinsam eine moderne Eisenbahnverbindung zwischen München und Prag bauten und in Bayerisch bzw. Böhmisch Eisenstein über die Grenze hinweg den verbindenden Bahnhof schufen. Die Idee ist einmalig geblieben: In ganz Europa gab es damals und gibt es heute keinen weiteren geteilten Bahnhof. So gut wie nie fuhr deshalb auch vor der Teilung Europas ein Zug einfach durch. Die Station war für alle Reisenden willkommener Zwangshalt.

1953 dann schob sich der Eiserne Vorhang durch den Bahnhof. Eine hohe Stahlplatte durchschnitt genau auf der Grenze das Bahnhofsgebäude. Damit kam der einst blühende Zugverkehr mit Böhmen völlig zum Erliegen. Mit der Errichtung des Eisernen Vorhangs wurde von der CSSR auf der Grenze ein Drahtzaun quer über die Bahnanlage gezogen und die Gleise unterbrochen. Die tschechischen Züge endeten nur einige Kilometer nördlich der Grenze. Die Deutsche Bahn fuhr mit ihren Zügen bis zum Prellbock am Grenzzaun des Bahnhofs Bayerisch Eisenstein und nutzte die südliche Hälfte des geteilten Empfangsgebäudes. Im Gebäude hatte man die Trennung durch Mauern vollzogen.

Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs zog ein neuer Geist in das historische Gemäuer: 1991 eröffnete der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl den Grenzbahnhof wieder. 2006 erschienen, nach sechs Jahrzehnten, zum ersten Mal in den Fahrplänen wieder Züge, die die Grenze überwinden. Die Waldbahn bediente die Strecke mehrmals täglich von Plattling über Bayerisch Eisenstein bis zum tschechischen Bahnhof Spicák (Spitzberg) und zurück.

Heute lohnt es sich gleich doppelt, im Bahnhof Bayerisch Eisenstein die Reise zu unterbrechen: zum einen für die Bahnhofsbesichtigung, aber vor allem auch zum Besuch der NaturparkWelten. Der Naturparkverein Bayerischer Wald erwarb den Bahnhof und investierte mehrere Millionen Euro. Entstanden ist ein 1.000 Quadratmeter großes Ausstellungszentrum. In den Schauräumen wird zum Beispiel die Geschichte des Bahnbaus zwischen Plattling und Klattau lebendig. Im Dachgeschoss entstand eine aufwendige Modelleisenbahn-Anlage. Ein Skimuseum informiert über die Entwicklung des Weißen Sports im Bayerischen Wald und die Ausstellung „König Arber“ über den benachbarten höchsten Berg des Bayerwalds. Besonders spannend auch für Kinder; das Europäische Fledermauszentrum in den Kellergewölben des Bahnhofs, der über Jahrzehnte europäische Geschichte schrieb.

2017 adelte eine Jury die Station als „Bahnhof des Jahres“. Der Bahnhof sei nicht nur „ein gutes Sprungbrett für Ausflügler. Er ist auch selber zum lohnenden Ausflugsziel geworden“, stellte die Jury fest. Die Übernahme des deutschen Bahnhofsteils durch den Naturpark Bayerischer Wald e.V. sei für Reisende ein „echter Glücksfall“: Diverse Museen im Bahnhof, eine propere Bahnhofshalle, Gastronomie auf deutscher und tschechischer Seite. „Mehr Bahnhof geht eigentlich nicht“, urteilte die Jury über den ersten internationalen Bahnhof des Jahres in der Geschichte des Wettbewerbs.

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