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Samstag, April 20, 2024

„I kann scheen schaun“

Lesestoff

Puppenspiel beim Passauer Konzertwinter. Nikolaus Habjan mit „Der Herr Karl“ von Helmut Qualtinger und Carl Merz am 19. Januar in der Redoute

(von Tobias Schmidt)

Am 15. November 1961 wurde im Österreichischen Fernsehen/ORF Fernsehgeschichte geschrieben. Es war der Tag der Erstausstrahlung von „Der Herr Karl“, eines speziell fürs Fernsehen geschriebenen Ein-Personen-Stückes der Wiener Schauspieler und Schriftsteller Helmut Qualtinger und Carl Merz.

Qualtinger spielt darin einen in die Jahre gekommenen Disponenten eines Feinkostgeschäfts, der – an die Kamera gewandt – einem stumm bleibenden, jüngeren Kollegen seine Lebensgeschichte erzählt. Diese reicht vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Ende der Besatzungszeit in den 1950er Jahren. Privates und Politisches gibt Herr Karl preis: Dass er, weil er halt „scheen schaun“ konnte, immer wieder an Frauen geriet, die ihm nicht gut taten. Wie gut, dass er all die Jahre seine Genossenschaftswohnung nie aufgab. Bei der Politik verhielt es sich ähnlich: er sei einmal Sozialist gewesen, wandte sich in den 1930er Jahren dann aber den „Christlichsozialen“ des autoritären österreichischen Ständestaats der Regierungen Dollfuß und Schuschnigg zu. Im Nationalsozialismus nutzte Herr Karl, der Kleinbürger mit Erfahrung im Sparverein seine Kenntnisse als Luftschutzhelfer und beim Winterhilfswerk. An seiner Sammeldose kam niemand vorbei. Waren es nach Kriegende zunächst die „Russkis“, deren Mentalität er zu verstehen vorgibt, diente er sich später der amerikanischen Besatzungsmacht an. Da hat es der Zuschauer längst begriffen, hier wird das Private politisch und umgekehrt. Und sein Anblick ist hässlich, denn hier spricht ein klein, bescheiden und vor allem gemütlich erscheinender Opportunist. Ein Mitläufer, der zum Mittäter wurde, weil er geschickt von den wechselnden Zeitläuften zu profitieren wusste und in der Maske des durchaus etwas naiven Biedermanns anderen Schaden zufügte. Die Fernsehsendung war ein Skandal. Die sprachliche Brillanz Qualtingers vor der Kamera, im Wiener Dialekt und in einer Art Honoratioren-Wienerisch jeweils echte Begeisterung und Fassade zu kennzeichnen, übersah man zunächst.

„Der Herr Karl“ (Foto: Barbara Pálffy)

Puppenmonolog über private und politische Lebenslügen

Was die Öffentlichkeit indes sehr wohl verstand: dieser Herr Karl sprach zwar von Österreich als erstem Opfer der NS-Diktatur, aber nur, weil Qualtinger und Merz eben diese Lebenslüge der Nation entlarven wollten. Schimpf und Schande bis hin zur Morddrohung waren die Reaktion. Letztendlich so heftig, dass dieses Stück heute als Klassiker gilt. Wie lässt sich die gefährliche Suggestivkraft dieser Spießer-Figur in eine Zeit überführen, in der mancher Zeitgenosse die Demokratie ad acta legen will?

Der dickliche Disponent im Lagerkeller eines Feinkostgeschäfts läuft Gefahr, heute nicht mehr verstanden zu werden. Nikolaus Habjan, renommierter österreichischer Puppenspieler und -bauer, adaptierte deshalb gemeinsam mit dem Regisseur Simon Meusburger „Der Herr Karl“ 2010 als Figurentheaterproduktion für die Bühne des Wiener Schubert Theaters. Der Herr Karl bekommt hier weitere Klappmaulpuppen-Charaktere anbei gestellt, die im Grunde aber nur Schattierungen des titelgebenden Opportunisten darstellen.

Habjans Produktion wurde auf  Theaterfestivals prämiert, und war anschließend unter anderem am Wiener Burgtheater und am Münchner Residenztheater zu erleben.

Die Gesellschaft der Musikfreunde Passau e.V. präsentiert diese Figurentheaterfassung des Kultstücks am Samstag, 19. Januar 2019 erstmals in Passau. Eine Abwechslung innerhalb des alljährlichen Konzertwinters VocVocal – ein anderer Aspekt zum Thema „Stimme“.

„Der Herr Karl“ (Foto: Barbara Pálffy)

Die Vorstellung von „Der Herr Karl“ mit Puppenspieler Nikolaus Habjan beginnt um 20 Uhr im Passauer Großen Redoutensaal. Tickets kosten 23,- Euro/ermäßigt 18,- Euro sowie 10,- Euro für Schüler, Auszubildende und Studierende.
Unter Tel. 0160 8437159 ist das Kartentelefon für Reservierungen erreichbar; alternativ sind diese auch per E-Mail an: karten@musikfreunde-passau.de möglich. Außerdem sind Tickets bei Bücher Pustet erhältlich.


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