6.2 C
Hutthurm
Donnerstag, April 25, 2024

Der Frust weicht der Verzweiflung – Niederbayerns Handel in der Corona-Krise

Lesestoff

Fachausschuss Handel der IHK Niederbayern tauscht sich mit Politik aus

Die Corona-Pandemie und die drastischen Einschränkungen des Wirtschaftslebens, mit denen die Regierung darauf reagiert, treffen die Wirtschaft in ihrer ganzen Breite. Als eine besonders betroffene Branche steht jedoch der Handel im Fokus, denn hier bilden sich die Probleme und Folgen dieser Politik wie unter einem Brennglas ab: ein ständiges Hin und Her zwischen Öffnung, Schließung und allen Zwischenschritten, die fehlende Planungsperspektive, Ungleichbehandlung zwischen einzelnen Teilbranchen und nicht zuletzt die Befürchtung einer Pleitewelle im Handel, deren Auswirkungen mit einem Aussterben der Innenstädte und Ortskerne erst nach Corona voll sichtbar würde. In dieser schwierigen Situation haben sich Handelsunternehmer aus ganz Niederbayern in einer Sitzung des Fachausschusses Handel der IHK Niederbayern mit Vertretern der Politik getroffen.

Die Landtagsabgeordneten Josef Zellmeier und Manfred Eibl hatten sich bereiterklärt, sich die Sorgen und Nöte, aber auch die Ideen und Lösungsansätze der Händler rund um die Ausschussvorsitzende Petra Steinberger anzuhören. Und die Unternehmer nahmen kein Blatt vor den Mund. Intransparent und nicht mehr nachvollziehbar seien die aktuell geltenden Corona-Regeln, die sich einzig und allein an den Inzidenzwerten orientierten. Ein Handelsunternehmen brauche aber Planungssicherheit, denn Dinge wie Wareneinkauf, Personalplanung oder Marketing ließen sich nicht anhand einer stets schwankenden Inzidenzzahl von Tag zu Tag beliebig hoch- und runterfahren. So dürften einige der im Ausschuss vertretenen Händler ihre Läden zwar aktuell sogar öffnen, sehen aber bewusst davon ab, da der kurzfristige Wechsel zwischen Schließen und Öffnen weder Kunden noch Mitarbeitern zu vermitteln sei und sich auch betriebswirtschaftlich nicht lohne. Der Weg in den Online-Handel sei dabei keineswegs für alle eine Option, denn die Geschäftsmodelle vieler stationärer Händler richten sich ganz bewusst auf persönliche Beratung und Service aus – das sei weder im Internet noch per „Click & Collect“ umsetzbar. Vielfach beklagt wurde daneben die offensichtliche Ungleichbehandlung in den Corona-Regeln: Während etwa Baumärkte mit ihrem breiten Sortiment uneingeschränkt öffnen und Lebensmitteldiscounter auf ihren Aktionsflächen nahezu jede Warengruppe in den Verkauf bringen dürfen, muss der Fachhandel geschlossen bleiben.

Dabei gäbe es Alternative und Wege, Gesundheitsschutz auf hohem Niveau und eine zumindest eingeschränkte Geschäftstätigkeit miteinander zu vereinbaren, betonten die Händler. Sie schilderten ihre vielfältigen Hygienekonzepte, sprachen sich für digitale Tools zur Kundensteuerung aus oder brachten den Einsatz von Schnelltests ins Spiel.

Insgesamt wurde in der virtuellen Sitzung des Ausschusses deutlich: Der ohnehin schon vorhandene Frust bei den Händler weicht zunehmend Verzweiflung und Resignation. Die finanziellen Reserven sind aufgebraucht, die Krise geht an die Substanz der Betriebe und die Existenzsorgen steigen. Wie einzelne Unternehmer in der Ausschusssitzung die Lage bewertet haben und was die Politiker ihnen erwiderten, können Sie in folgenden Schlaglichtern als Zitat nachlesen.

Petra Steinberger, Dictum, Plattling
„Die aktuellen Regeln machen wirtschaftliches Arbeiten unmöglich. Selbst wenn wir im Corona-Stufenplan vorankommen, lohnt es sich unter diesen Bedingungen für meinen Betrieb nicht aufzusperren. Unser Unternehmen ist 170 Jahre alt und hat viele Krisen überstanden, aber ob es diese Politik überlebt, ist für mich fraglich. Die Regierung verlangt den Betrieben alles ab, bringt aber selbst seit einem Jahr keine tragfähigen Lösungen.“

Petra Steinberger (Foto: Privat)

Roman Pollozek, Modehaus Pollozek, Pfarrkirchen
„Mode ist auch verderbliche Ware mit hohem Wertverlust. Somit war der Winter schon katastrophal und wir verpassen gerade den wichtigen Saisonstart. Es gibt meinerseits ein großes Unverständnis über das momentane Handeln der Politik. Willkür statt nachvollziehbarer Strategie scheint das politische Handeln zu bestimmen. Wie ist es zu erklären, dass Discounter und Verbrauchermärkte seit Wochen alles ohne Einschränkungen verkaufen dürfen, während andere Einzelhandelsgeschäfte geschlossen bleiben müssen, sehr gute Hygienekonzepte des Handels völlig außer Acht gelassen werden, der einzige Fokus auf dem Inzidenzwert liegt und es für den Modeeinzelhandel keine langfristige und sinnvolle Perspektive aus dem Lockdown gibt?“

Roman Pollozek (Foto: Privat)

Franz-Xaver Birnbeck, Langer Fachgroßhandel, Geiersthal
„Wenn die Regierung den bisherigen Kurs nicht korrigiert, droht gerade in unserer Region ein Dauer-Lockdown bis in den Juni. Eine Folge davon wäre ein massives Sterben von Hotellerie- und Gastronomiebetrieben, und das wirkt sich selbstverständlich direkt wie indirekt auch auf den Handel aus. Die Betriebe können aber nicht ewig am Tropf der staatlichen Hilfsprogramme hängen. Diese Hilfen sind kein Geschenk, dazu wird uns allen noch die Rechnung präsentiert werden. Die Frage ist, ob dann noch viele da sind, die sie bezahlen können.“

Franz-Xaver Birnbeck (Foto: Privat)

Johannes Huber, Modehaus Garhammer, Waldkirchen
„Der Blick auf die Corona-Karte zeigt: Der ostbayerische Raum ist durch die aktuell geltenden Regeln extrem benachteiligt. Schulen, Kindergärten, die Kultur oder natürlich auch Handel und Tourismus haben keine Chance auf Öffnungen. Wir fühlen uns alleingelassen und als Bürger zweiter Klasse. Die Aktion ‚Ostbayern sieht schwarz‘ bringt das pointiert auf den Punkt. Es muss sich jetzt etwas ändern, und zwar schnell.“

Johannes Huber (Foto: Privat)

Rainer Biller, Möbelhaus Biller, Eching
„Der Handel hat hervorragende Hygiene- und Schutzkonzepte bereits umgesetzt – mit viel Verantwortung und höchsten Standards für den Gesundheitsschutz von Kunden und Mitarbeitern. Wir sind auch bereit, hier richtig zu investieren. Ich hatte für unser Unternehmen zum Beispiel, bei einer Inzidenz von über 100, eine eigene Corona-Teststraße auf eigene Kosten und auf eigenem Gelände angeboten. Obwohl unser Landrat diese Strategie sehr positiv gesehen hat, warten wir bis heute auf eine Antwort. Wenn die guten Ideen und Konzepte vom Tisch gewischt werden, verlieren wir unsere Wettbewerbsfähigkeit, vor allem durch die Ungleichbehandlung zu Baumärkten mit überschneidenden Sortimenten.“

Rainer Biller (Foto: Privat)

Josef Feuchtgruber, Expert Feuchtgruber, Dingolfing
„Die Kurzarbeit hat bisher flächendeckende Kündigungen in den besonders betroffenen Branchen und Betrieben verhindern können – noch. Die breite Zustimmung zur Corona-Politik reicht nur soweit, bis es viele persönlich betrifft. Wenn es zu einer Pleite- und Entlassungswelle im Mittelstand kommt, kippt auch die Stimmung sehr schnell. Während sich aber derzeit die Arbeitnehmer noch mit dem Kurzarbeitergeld über Wasser halten können, bleibt die Verantwortung und das Risiko für die weitere Entwicklung allein am Unternehmer hängen. Ich vermisse seitens der Politik nicht nur eine effektive Unterstützung, sondern Verständnis und auch Wertschätzung für das, was wir als Unternehmer in der Krise jeden Tag leisten.“

Josef Feuchtgruber (Foto: Privat)

Alexander Schreiner, Hauptgeschäftsführer IHK Niederbayern
„Der starre Blick auf die Inzidenzwerte reicht nicht aus, es müssen auch weitere Faktoren berücksichtigt werden, etwa die Lage in den Krankenhäusern, regional eingrenzbare Hotspots oder im weiteren Verlauf die Entwicklung der Impfzahlen. Täglich schwankende Inzidenzzahlen sind keine verlässliche Planungsgrundlage für Unternehmen, der darauf basierende Stufenplan sorgt für große Verwirrung. Die Ungleichbehandlung zwischen einzelnen Unternehmen und Branchen nimmt immer weiter zu, das gilt für die Corona-Regeln wie für die Ausgestaltung der Hilfsprogramme. Besonders deutlich zeigt sich das im Handel.“

Alexander Schreiner (Foto: Privat)

Josef Zellmeier, MdL
„Es gibt verständliche Kritik an der Corona-Politik, und diese Kritiker dürfen nicht in eine Ecke gestellt werden. Der Mittelstand ist der Leidtragende in der Corona-Krise – diese Betriebe brauchen daher unsere Unterstützung. Unser Ziel sind weitere Öffnungsschritte, die Schnelltests können und müssen ein wichtiger Baustein für den Weg dorthin sein.“

Josef Zellmeier (Foto: Privat)

Manfred Eibl, MdL
„Nicht nur bei der Impfstrategie muss nachgebessert werden, auch eine wirkungsvolle Teststrategie ist notwendig. Mit konkreten Konzepten, etwa zu den Schnelltests, sowie dem Lösen von der Inzidenz als einzig und allein bestimmenden Faktor können wir Öffnungen in der Wirtschaft ermöglichen. Sonst bekommen wir ein Riesenproblem vor allem in den Innenstädten und Ortskernen, wirtschaftlich wie sozial.“

Manfred Eibl (Foto: Privat)
- Werbung-

More articles

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

- Anzeige -

Letzte Beiträge