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Mittwoch, April 24, 2024

Der Bürgersteig der Heimatlosigkeit

Lesestoff

Sprache und Exil. Ein Besuch beim syrischen Autor Ahmad Alkhalil und seiner Familie in Patriching

(von Tobias Schmidt)

Wenn dieser Tage von den Fremden in diesem Land die Rede ist, dreht sich’s zumeist um „Integration“. Es geht ums Ankommen an irgendeinem, meist wenig durch die Ankommenden, Geflüchteten oder Migranten selbst, sondern durch gesellschaftliche Diskussion bestimmten Zielpunkt. Und oftmals klingt dann auch ein wenig bundesdeutsche Selbstvergewisserung und Selbstfindung mit. Wohl weil die Bundesrepublik, noch fremdelt mit ihrer Rolle als „Einwanderungsland Deutschland“. Für Fragen nach dem Woher? der Neubürger bleibt indes kaum Raum. Schade, bleiben doch damit auch Worte außen vor, welche den erzwungenen oder frei gewählten Aufbruch und das Schaffen neuer Heimaten in Kopf und Herz, zu fassen vermögen. „Exil“ ist so ein, derzeit selten gehörtes Wort. Und lesende Menschen sind dann gedanklich schnell bei „Exilliteratur“. Unweigerlich denkt man an aus Nazideutschland ausgewanderte, oder auch aus der ehemaligen DDR in die damalige, alte, prä-1990er Bundesrepublik übergesiedelte Autoren. Und die neueren literarischen Stimmen? „Migrantenliteratur“, bisweilen auch „Gastarbeiterliteratur“ heißt es da. Diese Begriffe haben ihre Berechtigung, doch warum ist so gut wie nie von „Exil“ die Rede?

Ihm sei das noch nicht aufgefallen, denn er spräche im Freundeskreis sehr wohl von „Exil“, sagt der syrische Autor und ehemalige Journalist Ahmad Alkhalil. Vor vier Jahren aus Damaskus in die Bundesrepublik geflohen, lebt der Mittfünfziger seit zwei Jahren mit seiner Familie im Passauer Ortsteil Patriching/St. Korona. Es sei schon ein merkwürdiger Zustand, man sei hier so ganz ohne Verwandte, die einen normalerweise an ein Land oder einen Ort bänden, aber „Freunde habe man überall in Europa“. Ärzte, Schauspieler, Ingenieure seien das, Menschen, die ihre gesellschaftliche Aufgabe und Stellung irgendwann nicht mehr mit dem, allen Diktaturen eigenen Mangel an Wahrhaftigkeit in Einklang zu bringen wussten. Und die nun „von Berlin, Halle, Düsseldorf oder Toulouse aus“ in neuer Sprache neu begännen. Viele kenne er noch aus seiner Haftzeit, so Alkhalil. Und da sind wir mitten in einer Geschichte. Und weil das Erzählen nun einmal seine frühere Profession gewesen sei, holt Ahmad Alkhalil ein Buch hervor. Ein Frauengesicht ziert den braun-gelben Einband eines Gedichtbandes, dessen arabischen Titel man mit „Ich vermisse sie“ übersetzen könne. Der Freyunger Buchhändler und Verleger Heinz Lang brachte eine (bislang unveröffentlichte) deutsche Übersetzung voran, anhand derer schnell klar wird: da vermisst nicht nur jemand die Liebste, da sehnt sich ein Gefangener nach Freiheit.

Ende April 2019 las der in Passau lebende Autor und Journalist Ahmad Alkhalil im Hacklberger Literaturcafé der Kirchengemeinde St. Konrad (Foto: Schmidt)

„Es war eine Zeit und sie ist vorüber. Erst erstürmte mich die Abwesenheit, dann datierte ich ein Leben für die Abwesenheit an der gläsernen Vitrine der Zeit.“

Denn im Mai 1985 war der 19-jährige Jurastudent Ahmad Alkhalil an seiner Universität verhaftet worden. Vielleicht war der junge Mann, der gern gesellschaftliche Zusammenhänge kritisch hinterfragte, irgendjemandem im seit 1971 von Staatspräsident Hafiz al-Assad diktatorisch regierten Syrien ein Dorn im Auge gewesen. Vielleicht hatte er zu laut geäußert, dass vom säkularen, panarabischen Sozialismus der herrschenden Baath-Partei nur mehr autoritäre Unterdrückung übrig geblieben war. Jedenfalls verbrachte er sechseinhalb Jahre im Adra-Gefängnis am nördlichen Stadtrand von Damaskus. Er fand dort Freunde in Leidensgenossen. Und begann, Geschichten und Gedichte zu schreiben. „Einmal wurde sogar ein Kurzgeschichtenwettbewerb veranstaltet. Den ich gewann.“ Ein Großteil der damals entstandenen Prosa erschien 2015 in Ahmad Alkhalils zweitem Buch „Richtplatz“. Es wirkt ein wenig wie ein letzter Gruß eines kritischen Geistes, war 2015 doch auch das Jahr, als er mit Frau Sana Ali und den Kindern Yazan und Ghazal Syrien verlies. Was war geschehen? Nach der Haft hatte Ahmad Alkhalil einige Zeit in der Textil- und Glasindustrie gearbeitet, war dann mehrere Jahre im Pressebüro eines Telekommunikationsunternehmens angestellt. Daneben schrieb er als Freier Mitarbeiter für Zeitungen. „Nichts Politisches, Kultur ist besser für mich. Denn ich kann nicht lügen. Denn wenn zum Beispiel einem Theaterregisseur eine Kritik nicht passt, ist das etwas ganz anderes, als wenn man die Politik kritisiert.“ Vom Pressebüro eines Staatstheaters brachte er es bis zum Vize-Chefredakteur eines Theatermagazins, war Korrespondent für eine Theaterzeitung im Internet. „Insgesamt habe ich etwa 20 Jahre lang Beiträge über Theater, Film und Medien für Zeitungen und Magazine geschrieben. Sie wurden in Syrien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, dem Libanon, den Golfstaaten veröffentlicht; 8 Jahre war ich u.a. für die in London erscheinende arabische Tageszeitung Al-Hayat tätig. Gern erinnere ich mich an die ‚Homestories‘ bei Schriftstellern, wenn ich mit Ihnen über ihre private Büchersammlung sprach. Wissen Sie, das Hocharabische ist eine so weit verbreitete Sprache, aber an einer Lesekultur mangelt es.“ Die geringen Auflagenzahlen spiegelten das wider, weshalb er mit seinen Mitteln etwas für die Wertschätzung des Buchwesens tun wollte, sagt Ahmad Alkhalil. Und ergänzt: „Meine eigenen Bücher habe ich beim Nachbarn zurück gelassen. ‚Was soll ich damit?‘ gab er mir zur Antwort, sagt das nicht schon alles?“

„Seit Jahren verschiebt die Niederlage ihre Arbeit auf morgen. Seit Jahren hat der Betrug seinen Termin kein einziges Mal verpasst. Um eins…Zeitungen. Um zwei…Rundfunk. Am Abend… gebannte Katastrophen im Fernsehen. Seit Jahren steht der Wunsch im Kampf gegen seine Fesseln, die Hoffnung treibt ihn auf einem grünen Teppich, er sehnt sich nach den Enden, erreicht sie aber nicht.“

Im Jahr 2000 hatte Baschar al-Assad, Sohn des ehemaligen Staatspräsidenten, die Macht im Land übernommen. An der autokratisch-säkularistischen Herrschaftsform änderte sich nichts. Als im März 2011 in der südsyrischen Stadt Darʿā Kinder und Jugendliche festgenommen wurden, und die Bewohner daraufhin protestierten, reagierte das System mit Härte. Die Armee wurde gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt, mehrere hundert Personen getötet. Da konnte auch Ahmad Alkhalil nicht mehr schweigen. Am 28. Juni 2011 trafen sich etwa 200 Oppositionelle im Hotel Semiramis in Damaskus zu einer Konferenz ohne Beteiligung von Regierungsvertretern. Eine politische Programmschrift für ein demokratisches Syrien nach Präsident al-Assad wurde erstellt. Ein Land hatte Mut geschöpft, und illusionslose Erkenntnisse wie diese gewonnen: Als die ersten Samen der Wünsche und der Verlangen wuchsen, nahm ich die Gestalt eines Adlers an. Ich trug meinen Glanz und suchte einen hohen Gipfel, der das Blaue der Himmel streichelt. Aber… Ich erfuhr sehr spät, dass mein Land eine leere Ebene ist.

Zwischen 2015 und 2016 veröffentlichte Ahmad Alkhalil drei Bücher mit Gedichten, Kurzprosa und Aufsätzen zum Theater. Die Gedichte wurden bereits ins Deutsche übertragen, bislang jedoch noch nicht veröffentlicht (Foto: Schmidt)

Alkhalil besuchte diese Versammlung und war fortan wieder wenig gelitten. Die Redaktionsleitung ging auf Distanz, der Geheimdienst rief an und machte ihm Angebote im Gegenzug für eine positive Berichterstattung. „Nach dem Semiramis-Treffen gab es auch Bedrohungen aus meinem Heimatdorf. Denn egal wie säkular man denkt und lebt, wir sind dort alle Alawiten, gehören also derselben religiösen Minderheit im Land an, wie die Familie al-Assad. Deshalb hat er dort viele Anhänger“. Auch der Krieg kam näher, die Bomben trafen das Nachbarhaus in Damaskus, ein Blindgänger ging neben Ehefrau Sana Ali nieder. „Bis heute habe ich Angst bei lauten Geräuschen“, sagt sie. Bisweilen der Hoffnungslosigkeit nahe, suchte die Familie bis April 2015 Familie Möglichkeiten, Syrien zu verlassen. „Wir hatten in mehreren Ländern Asyl beantragt, eine Antwort kam nur aus Deutschland. Am 29. April teilte man uns einen Termin für einen Visumsantrag in der Deutschen Botschaft in Beirut mit. Im Juli 2015 reisten die vier Familienmitglieder ein, die Zuweisung erfolgte nach Haidmühle. Den dortigen Helferkreis lobt Ahmad Alkhalil. Als man von seiner journalistischen Erfahrung erfährt, soll er im Rahmen eines Praktikums bei der Freyunger Redaktion der Passauer Neuen Presse über Integration berichten. Ein dritter Sammelband mit Aufsätzen zum Theater „Theater besiegt den Krieg“ entstand, und wurde 2016 im Emirat Sharjah verlegt. Im März 2017 nahm Ahmad Alkhalil an einem Projekt für Exiljournalisten des Berliner Tagesspiegels teil, und auf der Internetsite SyriaUntold.com gibt es ebenfalls neuere Veröffentlichungen zu lesen. Allesamt kritische Töne zur Frage des Bewahrenswerten im Exil und des sturen Beharrens mancher Migranten, anhand von in Haidmühle, Altreichenau oder Passau gesammelten O-Tönen. Jedoch, seinem Beruf geht Alkhalil derzeit nicht mehr nach. Seine Frau und er arbeiten als Unterstützungskräfte in einer Senioreneinrichtung sowie als Reinigungskraft und Zeitungsausträger im Nebenberuf. Sohn Yazan steckt gerade in den letzten Zügen der Ausbildung zum Altenpflegehelfer, Tochter Ghazal besucht das Gymnasium. Und ein wenig arbeitet der Spracharbeiter Ahmad Alkhalil auch am Ankommen in der Sprache seines Exils. Vereinzelt sind das Schriftstellerlesungen, viel mehr aber helfe der Kontakt zur örtlichen Kirchengemeinde. Dabei hilft, dass die Familie eine Wohnung im Gemeindehaus bezogen hat, und den Garten wieder auf Vordermann brachte. In den Sachausschuss Asyl des Diözesanrates lade man ihn bisweilen ein, beim Kirchenvorstand sei er des Öfteren, aber „das ist natürlich sprachlich für mich sehr fordernd. Doch es gibt ja Protokolle, dort lese ich dann nach, was ich nicht verstanden habe“. Ein Menschenfreund, einer, dem man wünscht, dass seine Beobachtungen hier bei uns und für uns einmal sprachliche Gestalt gewinnen. Doch hinter aller kritisch-wachen Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist, Liebe speziell für das Theater, ist er doch der um Sprache ringende Exilant. Ist er einer, der in seinen Gedichten schreibt, dass ihn „die Erinnerung auf den Bürgersteig der Heimatlosigkeit geführt habe“. Ein fröhlicher Meister tieftrauriger Zeilen.

(Die Übersetzungen der hier zitierten Gedichte verfassten Dr. Sarjoun Karam und Dr. Sebastian Heine, Lektorat: Cornelia Zierat. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Rechteinhaber Heinz Lang, Lichtland Verlag, Freyung.)

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