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Donnerstag, März 28, 2024

…dass da jemand ist, der das mit aushält

Lesestoff

Vortrag zu Afghanistan und der Situation dorthin Abgeschobener

(von Tobias Schmidt)

Salzweg. Alljährlich ermittelt das in Australien ansässige Institut für Wirtschaft und Frieden einen globalen Friedensindex, also ein Ranking von 162 Staaten und Regionen, in denen aufgrund von Kampfhandlungen Gefahr für Leib und Leben besteht. 2019 führte Afghanistan als „gefährlichstes Land der Welt“ diese Liste an.

Krieg und bürgerkriegsähnliche Zustände prägen das zentralasiatische Land seit etwa 35 Jahren. Zwei Jahrzehnte währen mittlerweile die Versuche, das Land durch westliche Militär- und Entwicklungshilfe zu befrieden. Jedoch: Allein im vergangenen Jahr kamen mehr als 3.800 Menschen gewaltsam zu Tode, und das Bruttoinlandsprodukt brach um ca. 47 Prozent ein. Wem nackte Zahlen wenig sagen, dem berichten afghanische Flüchtlinge in unserer Region auch konkreter. Familien oder junge Männer, die nie Frieden und eine einigermaßen intakte Zivilgesellschaft erlebt haben. Manche erhielten hier einen Schutzstatus, andere fürchten die Abschiebung. Denn im Oktober 2016 schloss die Bundesrepublik Deutschland ein Rückübernahmeabkommen mit der Islamischen Republik Afghanistan ab, demzufolge abgelehnte afghanische Asylbewerber auch ohne Pass dorthin abgeschoben werden können. Etwa alle vier Wochen organisieren seither regionale Ausländerbehörden, Bundespolizei, Landesämter und das Bundesinnenministerium Sammelabschiebungen auf dem Luftweg nach Kabul.

Was ist das für ein Land? Und wie geht es dorthin Zurückgekehrten? Das wollten am vergangenen Donnerstag Zuhörer aus Passau, dem Landkreis, Landshut, Regen oder Kelheim bei einem Vortrag von Friederike Stahlmann erfahren. Christian Domes, 3. Bürgermeister und ehemaliger Asylbeauftragter der Gemeinde Salzweg organisierte und moderierte den Vortragsabend mit Diskussion. Gemeinsam mit dem Asylhelferkreis „Salzweg ist bunt“, dem Diözesanrat der Katholiken im Bistum Passau, dem Diakonischen Werk Passau e.V. und der Katholischen Erwachsenenbildung im Bistum Passau e.V. hatte er dazu in den Gemeindesaal von St. Rupert eingeladen. Die Referentin bereiste seit 2003 wiederholt Afghanistan; als auf vergleichende Rechtswissenschaft spezialisierte Ethnologin wird sie des Öfteren als Gutachterin bei Gerichtsverfahren mit Landesbezug angefragt. Stahlmann schaffte es zudem, mit aus der Bundesrepublik abgeschobenen Afghanen in Kontakt zu treten und zu ihrer Situation zu befragen. Manche der Abgeschobenen waren Zuhörern im Saal aus der Arbeit als ehrenamtliche Integrationshelfer persönlich bekannt. Die Studie sei kein leichtes Unterfangen gewesen in einem auf Seiten der Taliban, der Regierung sowie lokaler Milizen stark militarisierten Land, wo gezielt der zivile Alltag durch Anschläge, Bedrohungen und Bespitzelungssystem untergraben werde.

Friederike Stahlmann (Foto: Schmidt)

Rückkehr in eine von jahrzehntelangem Misstrauen geprägte Gesellschaft

Aus sozialer Kontrolle sei hier landesweit Misstrauen und auch Verfolgung erwachsen, so die Referentin. Der wirtschaftliche Niedergang verschlimmere alles, viele Menschen seien aus purer Not innerhalb des Landes auf der Flucht. Afghanistan sei ein Land, in welchem aus Nachbarn Gegner werden. Rückkehrern werde häufig „Verwestlichung“ vorgehalten, seitens der Familien auch „Versagen“. Und selbst hier greife die Angst um sich, einen Rückkehrer wieder aufzunehmen, denn das Spitzelsystem funktioniere so gut, dass insbesondere die Taliban auch die Familien unter Druck setzten. Wozu dies führe? Neunzig Prozent der von ihr Befragten, so Stahlmann, hätten von Gewalterfahrung gegen die eigene Person, die Familie oder sogar durch die Familie berichtet. Nach der Rückkehr begann für sie eine Odyssee durch wechselnde Verstecke, Obdachlosigkeit, Ausgenutzt-werden, Verarmung. Die Rückkehrhilfen von deutschen oder UN-Organisationen seien in dieser Gemengelage wirkungslos, Alternativen böten allenfalls befristete Jobs oder private Unterstützungshilfen aus Deutschland. Wichtig dabei sei das Kontakthalten mit deutschen Unterstützern, um nur den Mut nicht zu verlieren. Den es zum Beispiel braucht, um ein Jahre währendes Visumsverfahren für eine legale Wiedereinreise nach Europa ins Werk zu setzen. Für manche sei es eine Kraftquelle, zu wissen, dass „da jemand ist, der mit aushält, wie ich nun hier lebe.“, so Stahlmann. Oder krasser: „Sagen sie meinen Freunden nicht, dass ich obdachlos bin. Sie sollen nicht spenden. Sie sollen nur weiter anrufen.“ Zum vollständigen Bild gehört aber auch, dass manche Rückkehrer das Überlaufen zu den Taliban oder Suizid als Alternative wählten.

Die Diskussion mit den Zuhöreren führte zu den Erkenntnissen, dass hierzulande ins Feld geführte Argumente über „Pull“-Effekte oder auch „inländische Fluchtalternativen“ (wie man es immer wieder in Ablehnungsbescheiden von Asylanträgen liest) nicht wirklich griffen. Dass Presseberichterstattung zum Thema wichtig sei, jedoch Einzelschicksalsberichte eben nicht ungefährlich seien – denn man lese in Afghanistan durchaus aufmerksam mit, was Rückkehrern dann negativ ausgelegt würde. Und dass es eigentlich „verrückt“ sei, „was wir als haupt- oder ehrenamtliche Unterstützer im namens des deutschen Staates von Menschen verlangen, die solche Vorerfahrungen aus einem zerrütteten Land im Reisegepäck des Lebens mitbringen“.

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1 Kommentar

  1. Und die Unterstützerinnen gehen mit durch die Hölle. Im Gericht, im Gefängnis,im Flugzeug,in Afghanistan, sie sterben 100 Tode und lieben diese großartigen Jungen einfach weiter.
    Wir verlieren den Glauben an Gerechtigkeit und Rechtsstaat, nur unsere Liebe zu diesen Menschen geben wir nicht auf.

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